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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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war im vorigen Jahr.»
    «So was kann man nie wissen. Nehmen Sie den heutigen Nachmittag. Dean Hanbury erwartet einen Ausschuss wegen der Roger-Fine-Geschichte. Vielleicht, wahrscheinlich, bleibt es beim Reden. Dennoch hat sie es für ratsam gehalten, mich herzubestellen, damit ich zur Hand bin.»
    «Weil Sie Chef der englischen Abteilung sind?»
    «Ich bin nur kommissarischer Leiter. Nein, sie wollte, dass ich hier bin, falls es Ärger gibt.»
    «Ärger?» Der Rabbi überlegte. «Ich hab natürlich das Plakat in der Halle gesehen. Professor Fine muss bei den Studenten sehr beliebt sein, wenn sie seinetwegen eine Eingabe machen.»
    Hendryx zog die Schultern hoch. «Kann sein. Andererseits ergreifen die Studenten – wenigstens einige von ihnen – jede Gelegenheit, einen Streit anzufangen. Ich weiß nicht, wie beliebt Roger Fine ist. Er sieht sehr gut aus, demnach werden wohl die Mädchen auf seiner Seite sein. Das schöne rote Haar–» Er verstummte. «Irgendwie bringe ich rotes Haar nicht mit Ihren Leuten in Verbindung. Glauben Sie, dass es zwischen seiner Mutter oder Großmutter ein Techtelmechtel mit einem russischen oder polnischen Soldaten gegeben haben könnte?»
    «Wenn ja», sagte der Rabbi gleichmütig, «war es vermutlich unfreiwillig während eines Pogroms. Aber es gibt tatsächlich rotes Haar als Erbfaktor bei den Juden. König David soll rothaarig gewesen sein.»
    «Ach? Na, wie dem auch sei, ein hübscher junger Professor ist bei den Frauen immer populär. Auch wenn er ein Krüppel ist.»
    «Macht das denn einen Unterschied?»
    «Oh, ich sage ja nicht, dass er so verkrüppelt ist, um abstoßend zu wirken. Er geht am Stock, und das macht ihn vielleicht auf irgendeine Art noch anziehender. Ein moderner Lord Byron. Er sieht ihm ein bisschen ähnlich, wenn man’s sich recht überlegt. Mit dieser Locke, die ihm in die Stirn fällt.» Er lachte leise. «Ein rothaariger Byron. Ein kleiner physischer Fehler kann manchmal eine Bereicherung sein. Sehen Sie sich den Mann von der Hathaway-Hemdenreklame an, oder warum nicht Ihren General Moshe Dayan?»
    «Warum wird er nicht weiterbeschäftigt?», fragte der Rabbi, zum Thema zurückkommend.
    «Darum geht es ja. Sie brauchen keine Begründung zu geben. Vielleicht hat ihn der Präsident oder unsere Miss Dean mit offenem Hosenlatz auf dem Flur erwischt oder sogar im Clinch mit einer Studentin. Woher soll man das wissen? Es kann tausend Gründe geben.»
     
    Der Rabbi ging durch den Flur zum Büro des Dean, aber gerade als er um die Ecke kam, sah er die Tür ins Schloss fallen. Er zögerte einen Augenblick, erinnerte sich dann an das gleich beginnende Treffen mit dem Studentenausschuss, und beschloss, sie nicht zu stören.
    Beim Verlassen des leeren Hauses fiel ihm auf, dass das große Büro der englischen Abteilung im ersten Stock erleuchtet war. Er sah, dass Roger Fine allein und gedankenversunken an seinem Schreibtisch saß.
    «Wollen Sie mit mir nach Barnard’s Crossing zurückfahren?», rief er.
    Fine blickte erschrocken auf. «Oh, hallo, Rabbi. Nein, ich bin mit meinem Wagen hier. Aber vielen Dank. Ich – ich warte noch auf einen Anruf.»
    Als er aus dem Portal trat, überlegte der Rabbi, ob der arme Kerl wohl wirklich auf einen Anruf wartete oder etwa auf das Ergebnis der Besprechung, das sein Schicksal beeinflussen könnte.
    Trotz des Spätherbstes war das Wetter mild, und David Small fuhr mit heruntergekurbeltem Fenster. Er begann sich zu entspannen und die Fahrt zu genießen, als er an einigen Studenten vorbeikam, die auf dem Gehweg saßen; sie erinnerten ihn an die Vorfälle während seiner Vorlesung. Er versuchte die Gedanken zu verdrängen, indem er sich auf den Beginn des Sabbat einstellte, an dem man doch mit der Welt in Frieden sein sollte. Er stellte sich Miriam beim Tischdecken vor, beim Herrichten der geflüchteten Sabbatbrote, der Barches und des Kiddusch-Weins.
    Er stellte sich seine Ankunft und ihre Begrüßung vor. « Schabbat Schalom , David», und dann die unvermeidliche Frage: «Wie war’s denn heute?»
    Er würde antworten: «Ach, es war – weißt du, neulich hat Präsident Macomber das Erziehungsheim für Jungen besucht. Er ist Mitglied eines bestimmten Bürgerausschusses und …» Nein, so ging es nicht. Er konnte das Fiasko nicht verheimlichen. Wenn er es versuchte, würde sie spüren, dass er etwas verschwieg, und dann würde alles noch viel schlimmer werden.
    Vor sich sah er das Café am Straßenrand; er bog ein. Er brauchte

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