Am Dienstag sah der Rabbi rot
Synagogenvorstands daran an, sodass die meisten früh kamen und am zwanzigminütigen Gottesdienst teilnahmen.
Obwohl Malcolm Selzer kaum je in der Woche am minjan teilnahm – er war um halb acht immer schon im Lager – versäumte er ihn sonntags nie. Er gehörte zu der Hand voll Gemeindemitglieder, die noch in der alten Tradition erzogen war und die Liturgie kannte; er wurde oft zum Vorbeten aufgefordert. An diesem Sonntag aber erschien er nicht. Seine Abwesenheit wurde bemerkt.
Obwohl der Name als Abner Seldar, Adam Seilers und Aaron Seiger auftauchte, bezweifelte niemand in Barnard’s Crossing, schon gar nicht in der jüdischen Gemeinde, dass die in den Zeitungsberichten über die Bombenexplosion genannte Person der Sohn von Malcolm, Abner Selzer, war. Und die große Beteiligung am sonntäglichen minjan entsprach zweifellos dem sehr menschlichen Wunsch nach mehr Information.
Die Nachrichten vom späten Samstagabend und die Sonntagszeitungen hatten ausführlichere Berichte geliefert: dass sich Dean Millicent Hanbury mit einer Studentendelegation getroffen hatte, um über Klagen der Studenten zu diskutieren, dass sie das Treffen verlassen hatte – unter nicht genannten Gründen; dass kurz darauf die fünfköpfige Delegation Büro und Gebäude verlassen hatte; dass keine fünf Minuten später die Bombe explodiert war. Das Büro des District Attorney hatte angekündigt, dass alle Studenten verhört werden würden.
Als die Männer die Gebetschals zusammenfalteten, bemerkte Dr. Malitz, einer der Älteren: «Ich vermute, dass es ihm zu peinlich war zu kommen.»
Dr. Greenwood, wie Malitz Zahnarzt, schüttelte den Kopf. «Warum muss es ausgerechnet ein jüdischer Junge sein?»
«Was meinen Sie damit, ein jüdischer Junge?», sagte Norman Phillips missbilligend. «Es waren insgesamt fünf, und der junge Selzer war der einzige Jude. Und was hat es auf sich, dass er Jude ist? Er ist Amerikaner, oder? Er hat dieselben Rechte wie jeder andere, oder vielleicht nicht?»
Dr. Malitz kam seinem Zahnarztkollegen zur Hilfe. Dr. Greenwood war kein Kieferspezialist und schickte ihm Patienten. «Wenn Sie in der Zeitung lesen, dass jemand mit einem jüdischen Mann eine wissenschaftliche Entdeckung gemacht hat – Sie wissen schon, etwas Gutes vollbracht hat –, dann sind Sie stolz, weil es einer von uns war, stimmt doch? So geht es uns allen. Und wenn wir dann etwas lesen, was nicht so hübsch ist, fühlen wir uns natürlich –»
«Wir fühlen uns schuldig. Ja? Also ich nicht», stellte Phillips stur fest. «Ich habe als amerikanischer Bürger dieselben Rechte wie jeder andere, und das bedeutet, dass mich etwas, das jemand namens Cohen oder Levy betrifft, nicht stärker angeht, als wenn es sich um einen namens Cabot oder Lodge handelt. Selbstverständlich tut mir Mal Selzer Leid, aber in gewisser Weise hat er es ja herausgefordert.»
Greenwood starrte ihn an. «Was soll das heißen? Welcher Vater verdient es, dass sein Sohn in Schwierigkeiten gerät?»
«Na, sehen Sie, mein Junge geht ins College, ins Rensselaer Polytechnicum. Doc Malitz hat auch einen Sohn im College. Über Ihren Jungen weiß ich nichts, Doc, aber meiner haut schon mal ein bisschen über die Stränge. Er ist jung, verstehen Sie? Beispielsweise hatten sie im vorigen Jahr in seinem College Zoff. Die Polente kommt, die Reporter, alles, was dazugehört. Mein Junge sagt, er hätte nur zugesehen, sich den Spaß angeschaut. Vielleicht stimmt’s, vielleicht auch nicht. Ich gehöre nicht zu den Vätern, die ihren Kindern nichts Böses zutrauen. Na, sie nehmen ihn hopp, er verbringt die Nacht im Kittchen und muss eine Strafe zahlen. Er? Ich hab bezahlt.»
«Und?»
«Ich will nur sagen: Bin ich rumgezogen und hab angegeben, dass mein Junge ein großer Studentenführer ist?»
«Dann geben Sie mit was anderem an, was Ihr Sohn gemacht hat, vielleicht damit, dass er in Rensselaer ist!»
«Das hab ich nur erwähnt, weil –»
«Sei’s drum», sagte Greenwood. «Väter geben mit ihren Kindern an. Ich bin sicher, Malcolm Selzer würde lieber damit angeben, dass sein Junge gute Examen macht und Stipendien bekommt.»
Dr. Malitz hatte eine Eingebung. «Woher wissen wir überhaupt, dass der junge Selzer was mit dem Bombenattentat zu tun hat? In den Zeitungen steht nur, dass er an der Besprechung teilgenommen hat und dass er vom District Attorney verhört werden soll.»
«Wenn es erst mal zum Verhör kommt, landet er im Gefängnis», sagte Phillips. «Was ich wissen
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