Am Dienstag sah der Rabbi rot
soll der Tod zwischen 14 Uhr 10 und 14 Uhr 40 eingetreten sein, so ist es doch? Sagen wir also, um halb drei. Das hieße dann aber, dass Hendryx nicht in seine Wohnung zurückgekehrt, sondern im Büro geblieben ist. Und das hieße ferner, dass er schon tot war, noch ehe die Studentenabordnung beim Dean eintraf. Und das hieße, dass jemand in sein Büro gegangen und hinter den Schreibtisch getreten sein muss. Er musste irgendwie zum obersten Bord hinaufreichen, auf dem die Büste stand, und sie herunterwerfen. Wer kann denn bis zum obersten Bord reichen? Das ist doch ein altes Haus mit sehr hohen Decken. Unser geheimnisvoller Mörder müsste auf eines der unteren Fächer gestiegen und sich vielleicht mit einer Hand festgehalten haben, während er mit der anderen nach der Büste geangelt hat. Und Hendryx hat sich das alles mit angesehen und nicht mal gefragt, was der Kerl da treibt?»
«Und wenn er nun geschlafen hätte, eingedöst wäre?»
«Wie ist dann dieser Mensch in sein Büro gekommen? Es war doch versperrt?»
«Die Tür hätte offen sein können. Vielleicht ist das Schloss nicht eingeschnappt, als der Rabbi fortging.»
«Möglich, aber wenig wahrscheinlich.»
«Und wenn der Mörder einen langen Stock mit einem gebogenen Griff gehabt hätte, einen Spazierstock zum Beispiel», fuhr Ames fort, «hätte er den Gipskopf leicht herunterziehen können.»
«Ja, aber wie erklärst du dann die Pfeife und den Hocker und das aufgeklappte Buch in Hendryx’ Wohnung?»
«Da könnte immerhin die Putzfrau geschwindelt haben. Sie will natürlich so früh wie möglich Schluss machen. Und wenn sie glaubt, Hendryx kommt nicht mehr und kann sie nicht kontrollieren, ist sie vielleicht bei der Arbeit nachlässig.»
«Warum hat sie’s dann nicht zugegeben?»
«Dazu kann ich nur sagen: Wenn es meine Putzfrau gewesen wäre, die hätte es auch nicht freiwillig eingestanden. Es gibt da eine Art Berufsstolz.»
«Dann nimm sie nochmal ins Verhör», sagte Rogers gutmütig. «Wenn du es schaffst, dass sie ihre Geschichte ändert, werde ich nochmal über Lagranges angegebene Todeszeit nachdenken.»
29
Bei Klassentreffen und anderen nostalgischen Zusammenkünften bot sich der Name Bradford Ames immer als gutes Diskussionsthema an.
«Hast du Brad Ames gesehen? Was macht er denn jetzt? Immer noch Assistant District Attorney? Da sieht man mal wieder, wie Geld die Karriere verderben kann.» Karl Fisher war wie die drei Freunde, mit denen er sich im Club zum Lunch getroffen hat, Anfang fünfzig. Sie waren alle wohlhabend.
«Wie meinst du das?»
«Als wir anderen das Jurastudium abgeschlossen hatten, sind wir alle herumgerannt und haben uns Stellungen gesucht», sagte Fisher. «Und ihr wisst ja noch, wie schwer das damals war und was man bezahlt bekam. Also haben wir unsere eigene Praxis aufgemacht, uns vom Vater oder Schwiegervater ein paar hundert Piepen gepumpt, um alte Möbel und ein Corpus Juris anzuschaffen.»
«Als ich vom Studium kam», erzählte Gordon Atwell, «hab ich mit sechs anderen eine Bürogemeinschaft gegründet, und ihr könnt mir glauben, wir sieben mussten alles zusammenkratzen, um unserer einzigen Sekretärin ihren Wochenlohn auszahlen zu können.»
«Ja», stimmte Fisher ihm zu, «aber wir haben durchgehalten, und nach und nach ging es dann aufwärts, und am Ende, wer hätte das gedacht? – hatten wir eine Existenz. Und als wir dann so um die Vierzig waren, hatten einige von uns große Praxen, andere waren Richter geworden oder in die Politik gegangen, oder sie waren Leiter der Rechtsabteilungen großer Firmen. Ich meine, die meisten haben was erreicht, einige sogar sehr viel.
Aber das liegt nur daran, dass wir uns durchschlagen mussten. Wenn du nämlich ein Ames bist, und Geld dir nichts bedeutet, denkst du nicht so. Und deine Familie denkt auch nicht so, und du stehst einfach nicht unter dem Druck, unter dem wir gestanden haben. Wir mussten uns nach der Decke strecken. Wir mussten sofort voll ran. Ich hatte mich fürs Strafrecht interessiert, aber glücklicherweise habe ich erkannt, dass ich es mir nicht leisten konnte, Strafverteidiger zu werden. Vielleicht arbeitete ich dann heute für die Gangster wie Bob Schenk oder ich würde, und das ist wahrscheinlicher, kleine Gauner verteidigen, deren verwitwete Mütter Hypotheken auf ihr kleines Häuschen aufnehmen müssten, um mein Honorar zu bezahlen. Jetzt hab ich mich aufs Grundstücksrecht verlegt, und ihr wisst ja, wie groß unsere Praxis ist, und dass es
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