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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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gemütlich, und wir unterhielten uns, wie man sich eben nach einem guten Essen unterhält, und der Richter machte eine halb scherzhafte Bemerkung, wann Brad endlich die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen wolle. Und wisst ihr, wie er das gemeint hat? Er meinte, es wäre Brads Pflicht als ein Ames, der Gesellschaft und dem Land sein Bestes zu geben.
    Nun reden normale Leute aber nicht so, weil sie – na, weil ihre Denkungsweise nicht so funktioniert. Ich meine, normale Leute würden sagen: Wann machst du mal was aus deinen Möglichkeiten und wirst ein berühmter Mann? Wenn du so schlau bist, warum bist du dann nicht reich? In der Art eben. Aber daran hat Stuart Ames überhaupt nicht gedacht. Er meinte, sein Bruder habe eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft und die erfülle er nicht. Er denkt tatsächlich so. Und das Komische daran war, dass Brad das auch so empfand. Er fing also an, über seinen Beruf zu reden, anfangs halb im Spaß, im Tonfall seines Bruders, im Grunde aber ebenso todernst wie der. Das Gespräch vergesse ich nie. Er sagte: ‹District Attorneys kommen und gehen. Je besser sie sind, umso schneller gehen sie wieder, weil das für sie nur ein Sprungbrett für den nächsten Posten ist. Aber Assistant D. A.s bleiben. Nun muss aber einer die District Attorneys einfuchsen, und das ist meistens meine Aufgabe, weil ich schon so lange da bin.›»
    «Daran hab ich noch nie gedacht, aber es leuchtet mir ein», sagte Andrew Howard.
    «Danach erklärte er, dass die Assistants im Büro des District Attorney diejenigen sind, die den Laden schmeißen. Sie entscheiden, wer vor Gericht gestellt wird, und wem man nochmal eine Chance gibt. Das macht nicht der Richter und nicht der Verteidiger, ja nicht mal der D. A., wohl aber der Assistant District Attorney. Er fällt die Entscheidung, ob Anklage erhoben wird oder nicht. Ihr könnt mir glauben, er hat das glänzend dargelegt. Mich hat er auf jeden Fall überzeugt, und seinen Bruder vermutlich auch. Seitdem sehe ich ihn irgendwie in einem anderen Licht. Vorher hatte ich genau wie ihr geglaubt, es wär für ihn eine Art Steckenpferd. Er hätte Spaß am Strafrecht, und da er es sich leisten konnte, begnüge er sich eben mit dieser Ebene und ginge einer Neigung nach. Aber am Ende dieses Nachmittags sah ich ihn als einen Top Sergeant, der die Arbeit macht und die Entscheidungen trifft, es aber dem Lieutenant oder dem Captain überlässt, den eigentlichen Befehl zu geben und den Ruhm zu kassieren. Der Mann, der den ganzen Gerichtsapparat in Gang hält, ist nicht Richter oder Strafverteidiger und nicht mal Polizist, sondern es ist der unscheinbare Assistant District Attorney.»
     
    Bradford Ames sah unglücklich hinter dem District Attorney her und suchte nach einem Entschluss. In Gedanken wusste er, dass Rogers die vier Studenten schon als schuldig befunden hatte – schuldig wessen? Radikale zu sein, sich primitiv auszudrücken, ein Leben zu führen, das er nicht gutheißen konnte –, und aus all diesen Gründen war er entschlossen, sie so lange im Gefängnis zu lassen, wie er nur eben konnte. Wochen oder Monate, bis zum Tag des Prozesses. Seine vier Töchter waren es, die sein Urteilsvermögen trübten, fand Ames, und dankte Gott, dass er Junggeselle war.
    Natürlich, wenn der Fall erst einmal zur Verhandlung kam, musste der gerichtsärztliche Befund bekannt werden, und dann würde die Anklage wegen Mordes fallen gelassen, während das Verfahren wegen Brandstiftung fortgesetzt werden würde. Aber die Studenten wären dann die ganze Zeit über in Haft gewesen. Außerdem bestand die Gefahr eines juristischen Rückschlags; wenn der Prozess von einem Star wie Richter Harris zum Beispiel geführt wurde, würden sie möglicherweise allerhand über die Unterschlagung von Beweismaterial durch den D. A. zu hören bekommen. Er begriff nicht, dass jemand den politischen Gegebenheiten gegenüber so blind sein konnte, kam dann aber zu dem Schluss, dass sein Chef sich der politischen Rückwirkung durchaus bewusst sein mochte und davon ausging, dass seine Wähler nicht das Geringste dagegen haben würden, wenn er das Recht ein wenig dehnte, um diese jungen Radikalen eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen.
    Normalerweise würde ein dem Verteidiger gegebener Wink die Sache erledigt haben, aber jeder der vier Angeklagten wurde von einem anderen Anwalt vertreten, und Ames kannte keinen von ihnen. Der junge O’Brien hatte einen jungen Anwalt beauftragt, der gerade erst Examen

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