Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
Vom Netzwerk:
vorgeführt werden. Nehmen die Geschworenen die Anklage an, bleiben sie im Gefängnis, bis der Prozess beginnt.»
    «Ja, das weiß ich auch.»
    «Was halten Sie davon?», fragte Ames überraschend.
    Der Rabbi fühlte sich überrumpelt. «Das verstehe ich nicht. Spielt das, was ich denke, eine Rolle?»
    «Nein, ich fürchte nicht, aber ich würde es trotzdem gern wissen.»
    Der Rabbi lächelte. «Es ist kein sehr bedeutsamer Zufall, aber ich habe erst gestern im Talmud nach Material für eine Predigt gesucht und kam dabei auf einen Abschnitt, der ein ähnliches Problem berührte.»
    «Talmud? Ach, das ist eines Ihrer religiösen Bücher?»
    «Es ist eigentlich unser Gesetzbuch. Und der Abschnitt befasste sich nicht mit Mord, sondern mit dem Bürgschaftsrecht und der Verantwortlichkeit des Bürgen.»
    «Heißt das, dass dieser Talmud sich mit dem Zivilrecht befasst?»
    «O ja», bestätigte der Rabbi, «und mit dem Strafrecht und dem Kirchenrecht – mit allen Rechtsarten, die unser Leben beeinflussen. In unserer Religion trennen wir sie nicht. Also, in diesem Fall ging es um Verlust durch zufälligen Schaden, und es gab Beweise für die Nachlässigkeit des Bürgen. Es ging um die Frage seiner Haftung. Ein Rabbi stellte sich auf den Rechtsstandpunkt, dass Fahrlässigkeit am Anfang einer Handlung, die einen Schaden zur Folge hat, wenn auch durch Zufall, den Bürgen haftbar macht.»
    «Ja, das ist auch der Standpunkt, den wir einnehmen.»
    «Aber ein anderer Rabbi war der Ansicht, dass das Grundprinzip anders sein müsse. Selbst wenn am Anfang Fahrlässigkeit vorgekommen ist, ist er nicht haftbar, wenn der Schaden durch einen Zufall verursacht wird.»
    «Und wie wurde der Fall entschieden?», fragte Ames, der auf einmal Interesse gewann.
    Der Rabbi lächelte. «Er wurde gar nicht entschieden. Wie bei einer größeren Anzahl solcher Fälle wurde die endgültige Entscheidung bis zur Wiederkehr des Propheten Elias hinausgeschoben.»
    Ames lachte. «Sehr gut. Ich wollte, wir könnten auf so etwas zurückgreifen.»
    Auch der Rabbi lachte. «Das können Sie nicht, es sei denn, Sie glaubten, Elias käme wirklich wieder.»
    «Das würde die Lage natürlich verändern.» Ames entdeckte, dass ihm der Rabbi gefiel, und beschloss, sich ihm anzuvertrauen, wie er es geplant hatte. «Um auf den akuten Fall zurückzukommen, Rabbi, gestehe ich Ihnen ein, dass ich über die augenblickliche Situation keineswegs glücklich bin. Die jungen Leute können eine bestimmte Zeit in Untersuchungshaft behalten werden, obwohl sie noch nicht durch ein Gerichtsverfahren für schuldig befunden worden sind. Ich weiß, das ist ein Risiko, dem jeder Bürger ausgesetzt ist. Es kann jedem geschehen. Natürlich ist es dem Einzelnen gegenüber ungerecht, aber andererseits muss der Staat seine Bürger schützen. Wir treffen viele Vorsichtsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass ein Unschuldiger darunter zu leiden hat. Die Polizei kann niemand länger als vierundzwanzig Stunden festhalten, ohne dass ein Richter seine Zustimmung gibt, ebenso wie wir Menschen nicht dem Ungemach und den Härten eines Prozesses aussetzen, ehe nicht ein Schwurgericht entschieden hat, dass es gute Gründe gibt, die gegen sie sprechen.»
    «Ich kann kaum annehmen, Mr. Ames, dass Sie gekommen sind, mir die Vorzüge unseres Rechtssystems darzulegen.»
    Ames kicherte. «Recht haben Sie, Rabbi. Folgendes: Der Gerichtsarzt hat gerade seinen Befund eingereicht. Seiner Ansicht nach ist der Tod Ihres Kollegen einige Zeit vor der Explosion eingetreten. Nun sind die Untersuchungsergebnisse nicht beweiskräftig. Es können dem Arzt Fehler unterlaufen, wahrscheinlich ist das hier geschehen, aber wenn der Richter damals schon den ärztlichen Befund vorliegen gehabt hätte, würde er niemals die Stellung einer Kaution abgelehnt haben, davon bin ich überzeugt.»
    «Aha», sagte der Rabbi. «Was tun Sie denn nun in einer derartigen Situation? So etwas muss ja sicher früher schon einmal vorgekommen sein – nicht genau wie in diesem Fall, aber doch so, dass neue Beweise aufgetaucht sind.»
    «Oh, das kommt häufig vor. Normalerweise würde ich in so einem Fall den Verteidiger anrufen und ihm anraten, den Verzicht oder die Verminderung einer Kaution zu beantragen. In diesem speziellen Fall aber hat der District Attorney eine sehr festgelegte Meinung, und dadurch wird alles ein bisschen schwierig. Verstehen Sie?» Er blickte erwartungsvoll zum Rabbi hinüber.
    «Ich glaube schon», sagte der Rabbi

Weitere Kostenlose Bücher