Am Dienstag sah der Rabbi rot
aller koscheren oder nichtkoscheren Haustiere dient keinem anderen Zweck als geschlachtet und gegessen zu werden. Nun verbietet unsere Religion Tierquälerei. Tatsächlich gibt es in der Bibel Dutzende von Vorschriften, ebenfalls in den Auslegungen der Rabbiner, die verlangen, dass wir Tiere gut behandeln. Man darf dem Ochsen beim Dreschen nicht das Maul verbinden; ein Esel und ein Ochse dürfen nicht in ein Joch gespannt werden; Arbeitstiere müssen am Sabbat Ruhe haben; und die Jagd als Sport ist verboten. Bei einer solchen Einstellung werden Sie sicher verstehen, dass die Aufzucht eines Tiers, nur um es schließlich zu schlachten, uns widerwärtig sein muss.»
Der Rabbi hakte die Frage an der Tafel ab. «Gut, gehen wir zur nächsten Frage, zum schwarzen Glatzendeckel. Wer möchte das übrigens wissen?»
Harvey Shacter hob die Hand.
«Ich habe diese Bezeichnung für den kipah noch nie gehört», stellte der Rabbi grinsend fest, «aber sie hat etwas für sich. Warum tragen wir das? Es ist einfach ein Brauch, Mr. Shacter. Es gibt keine biblische Regelung. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass bei uns Bräuche leicht zum Gesetz werden. Es braucht nicht schwarz zu sein und auch nicht rund. Jede Kopfbedeckung reicht aus. Manchmal war es Sitte, barhäuptig zu gehen, ein anderes Mal musste der Kopf bedeckt werden. Die letztere Sitte scheint sieghaft gewesen zu sein, abgesehen von Reform-Synagogen, wo sie meistens barhäuptig beten.»
Er hakte die Frage ab, zögerte einen Augenblick und strich dann die folgende auch. Dazu bemerkte er: «‹Gott ist tot›, darüber müssten Sie eher mit protestantischen Theologen als jüdischen Rabbinern diskutieren.»
«Warum das?», rief Henry Luftig.
«War’s Ihre Frage, Mr. Luftig?»
«Ja, Sir.»
«Es ist eine theologische Frage, und wir haben keine Theologie im allgemein anerkannten Sinn.»
«Warum nicht?»
«Weil wir sie nicht brauchen», sagte der Rabbi schlicht. «Unsere Religion beruht auf der Idee eines einzigen Gottes, eines Gottes der Gerechtigkeit. Wenn Sie darüber nachdenken, verlangt das Prinzip der Gerechtigkeit einen einzigen Gott, weil es einen einzigen Begriff beinhaltet. Und weil Er unendlich ist, ist Er für endliche Geister unerkennbar. Wir verbieten es nicht, Ihn zu studieren, verstehen Sie das? Aber wir betrachten es als sinnlos. Etwa so, wie ein Ingenieur einen jungen Kollegen ansehen würde, der versucht ein Perpetuum Mobile zu konstruieren. Vielleicht würde er sagen: ‹Wenn du willst, kannst du daran arbeiten, aber du verschwendest nur deine Zeit, weil es theoretisch unmöglich ist.› Weil wir also glauben, dass es sinnlos ist, das Unerkennbare erkennen zu wollen, haben wir keine Theologie.»
«Warum haben sie dann die Christen?», fragte Luftig.
«Ich hatte die Absicht, mich in dieser Stunde mit Ihren Fragen über das Judentum zu befassen, nicht über das Christentum», mahnte der Rabbi fast vorwurfsvoll.
«Wie können wir etwas über das Judentum lernen, wenn wir nichts haben, womit wir es vergleichen können?»
Der Rabbi spitzte die Lippen und erwog das. «Sie haben Recht, Mr. Shacter. Gut. Ich will versuchen, es zu erklären. Wie wir glauben auch die Christen an einen einzigen Gott. Zusätzlich aber haben sie ein weiteres göttliches Wesen in der Gestalt von Jesus als Sohn Gottes. Und da ein Sohn eine Mutter impliziert, haben sie auch noch Maria, die zumindest halb göttlich ist. Nun sind die Familienbeziehungen zwischen Gott und Jesus, Maria und Jesus, Maria und Gott und alle anderen möglichen Variationen, gar nicht erst zu reden von der menschlich-göttlichen Natur von Jesus – nicht leicht zu erklären.»
«Ist es das, was sie Heilige Dreifaltigkeit nennen?»
«Nein», sagte der Rabbi, «dies ist die Heilige Familie. Die Dreifaltigkeit besteht aus dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, und die Beziehungen unter ihnen sind Sache der christlichen Theologie. In dieser Angelegenheit gibt es sehr feine Unterscheidungen zwischen den verschiedenen christlichen Richtungen.»
«Ja, aber sind das nicht nur Wortspielereien zwischen Pfarrern und Priestern?»
«Zehntausende sind in Religionskriegen von der Zeit Konstantins im vierten Jahrhundert bis zur heutigen Zeit wegen dieser so genannten Wortspielereien getötet worden», sagte der Rabbi. «Nein, Mr. Luftig, die Meinungsstreite der Theologen kann man nicht so leicht abtun.»
Lillian Dushkin wedelte mit der Hand. «Ein Bekannter von mir macht bei dieser Juden-für-Jesus-Sache
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