Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
diesem Spiel? Sie fixierte ihn abwartend.
„Darf ich jetzt reinkommen oder möchtest du mich noch länger anstarren?“, fragte er.
Susanna gab den Weg frei. Stumm wies sie auf die Sitzgruppe im Hof. Während Patrick sich in den Gartenstuhl fallen ließ, blieb sie vor ihm stehen und blickte ihn an.
„ Wie hast du mich gefunden?“
„Du hast mir doch von Lesancé geschrieben. Hier kennt ja jeder jeden. War ganz einfach“, prahlte er.
„Aber das erklärt nicht, wie du hergekommen bist.“
„Naja“, sagte er zögerlich. „Mein Onkel hat mich abgeholt. Er sagte, er bräuchte meine Hilfe, weil du dich weigerst, mit ihm zu sprechen. Du läufst vor ihm weg - sagt er.“
Anscheinend traf ihn die Ohrfeige unerwartet. Er sah sie ungläubig an und hielt sich die Wange.
„Warum lügen mich alle an?“ Susanna schrie es beinahe. Den Schlag hatte er verdient. Schließlich hatte sie ihren letzten Verbündeten verloren.
So schnell, wie er gekommen war, verflog Susannas Zorn. Stattdessen wuchs ein Kloß in ihrer Kehle.
„Geh bitte“, sagte sie tonlos. Auf keinen Fall wollte sie vor ihm weinen, aber Patrick rührte sich nicht. „Heute noch! Hau ab, ich will dich nicht mehr sehen.“
„Ich kann dir alles erklären, wenn du mich lässt.“
„Mir reicht es. Ich will keine Märchen mehr hören von fremden Ländern, Bestimmungen, Anwärtern oder sonst irgendeinem Mist.“ Nun begann sie doch zu heulen. Auch das noch. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und wandte sich von Patrick ab.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.
„Beruhige dich bitte. Warum sollte ich dich belügen? Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst.“ Er klang aufrichtig.
Trotzdem konnte Susanna nicht aufhören zu weinen. Schließlich ließ sie sich schluchzend zu Boden sinken.
Patrick kniete neben ihr nieder, doch sie weigerte sich, ihn anzusehen. Sanft legte er einen Arm um sie, zog sie an sich und wiegte sie hin und her.
Er hielt sie in den Armen, bis sie zu weinen aufhörte. Gleich darauf ergriff er ihre Hand, zog sie hoch und schob sie zu einem der Gartenstühle.
„Ich weiß nicht genau, was passiert ist“, erklärte Patrick. „Samuel sagte nur, er hätte versucht, mit dir zu sprechen und du wärest weggelaufen. Du brauchst wirklich keine Angst vor ihm zu haben. Er wartet übrigens draußen, weil er erklären will, was das mit der Flasche auf sich hat. Das wolltest du doch, oder?“
Erwartungsvoll schaute er sie an.
Susanna zögerte. Beinahe vermisste sie Toni. Sie hätte gern einen Erwachsenen in der Nähe gewusst.
„Hol ihn rein“, sagte sie schließlich.
Kurze Zeit später saßen sie zu dritt unter der Kastanie. Die Sonne schien durch das dichte Laub und malte glitzernde Kringel auf die Erde. In den Ästen saß eine Amsel und sang, als könnte sie damit einen Preis gewinnen. Es hätte friedlich sein können, wären da nicht Susannas Bedenken gewesen, die zwischen ihnen standen wie eine Mauer.
Samuel entschuldigte sich wort- und gestenreich dafür, dass er Susanna erschreckt hatte. In diesem Moment wirkte er weder bedrohlich noch düster. Dennoch blieb Susanna misstrauisch. Sie rückte näher an Patrick heran.
„Ich weiß, vieles von dem, was ich dir jetzt sage, klingt im ersten Moment unglaublich“, begann Samuel mit seiner Erklärung. „Du stammst von einem Flaschengeist ab.“
Susanna lachte laut auf, doch als Samuel sie mit einem strengen Blick ansah, verstummte sie.
„Den Stammbaum deiner Familie begründete ein sehr besonderer Mann, Hassan Ben Ali. Er wurde nicht als Mensch geboren, sondern als Geist. Zu jener Zeit existierten in Kis-Ba-Shahid mehr Geister als Menschen. Und mit den Menschen kamen Lug und Trug. Die Dschinn jedoch kämpften gegen jede Art von Unehrenhaftigkeit. Schnell erkannte man die Gefahr, die von den Geistwesen ausging. Die Menschen begannen, sich vor ihnen zu fürchten und suchten nach Lösungen. Eines Tages gelang es einem Zauberer, einen der Geister in eine Flasche zu bannen. Immer mehr Zauberer erlernten den Bannspruch und immer mehr Geister erlagen diesem Schicksal. In den Karaffen steckten sie fest, bis jemand den Stopfen entfernte.“
„Soll das heißen, in meiner Flasche steckt ein Geist?“
„Ursprünglich schon“, sagte Samuel. „Vor rund 1000 Jahren, da fand die Tochter des Sultans Tughrul Beg die Flasche im Palastgarten. Sie zog den Stopfen heraus und der Geist entwich. Dann geschah etwas Ungewöhnliches: Anstatt die Prinzessin zu zerfleischen, stand der Geist still in
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