Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
der Großstadt leichter. Bis heute halten die Nachkommen Hassan Ben Alis das Versprechen. Du bist in 33. Generation die Nächste, die an das Ehrenwort gebunden ist.“
„Besonders viel Glück hatten meine Eltern und ich in der letzten Zeit aber nicht.“
„Ihr bringt nur fremden Menschen Glück. Das ist die Wiedergutmachung, weil Hassan Ben Ali, als er noch ein Geist war, den Menschen Leid zufügte. Deiner eigenen Familie widerfährt ebenso viel Glück oder Leid, wie allen anderen Leuten.“
„Mein Vater soll fremden Leuten Glück bringen? Wie soll das denn funktionieren?“
„Dein Vater mischt die nötigen Zutaten in seine Tees.“ Ehe Susanna den Mund aufmachen konnte, fügte er hinzu: „Mehr weiß ich darüber nicht. Wenn du es genauer wissen willst, musst du deinen Vater fragen.“
Was war das nun wieder? Glückstees? Das wurde ja immer verrückter.
Samuel erhob sich.
„Ich gehe jetzt besser“, sagte er. „Ehe deine Cousine nach Hause kommt.
„Sie können noch nicht gehen“, warf Susanna ein. „Ich habe noch massenweise Fragen. Was ist mit der Flasche? Wieso leuchtet sie?“
„Darüber müssen wir ein anderes Mal reden. Komm Patrick, lass uns gehen.“
Patrick schüttelte den Kopf.
„Ich bleibe hier.“
Samuel protestierte, aber Patrick beharrte darauf.
„Mir fällt schon etwas ein, um zu erklären, warum ich hier bin.“ Er zwinkerte Susanna zu. „Es ist doch normal, Sehnsucht nach seiner Freundin zu haben.“
Susanna schnappte nach Luft. Ihr Herz schlug in rasendem Tempo. Beinahe fürchtete sie, Patrick könnte es hören. Bloß jetzt nicht rot werden . Sie kämpfte gegen die Hitze an, die in ihre Wangen steigen wollte.
„Na gut, ihr beiden. Ihr seid alt genug. Aber macht keine Dummheiten. So alt seid ihr dann doch nicht.“ Samuel lachte dröhnend.
Susanna Ohren glühten.
„Wir tun ja nur so“, sagte Patrick lachend.
Ein Ellenbogen traf Susanna in die Seite. Aua, das hatte wehgetan - nicht nur der Stoß in die Rippen. Klar, dachte sie, es war nur ein Fake.
Kaum fünf Minuten, nachdem Samuel gegangen war , betrat Toni den Hof. Zuerst schaute sie skeptisch und stellte allerhand Fragen: Wer Patrick wäre und was er bei ihnen wollte. Doch sie schien die Erklärung, er wäre Susannas SMS gefolgt und ihr hinterhergereist, zu akzeptieren. Sie bot Patrick sogar eine Schlafgelegenheit an.
„ Macht euch nützlich und tragt die Taschen hinein. Wenn ihr den Kühlschrank eingeräumt habt, bleibt euch noch genug Zeit zu turteln.“
Den Rest des Tages verbrachten sie zu dritt. So selten Susanna Toni bisher gesehen hatte - heute schien sie nicht die Absicht zu haben, sich in ihr Atelier zurückzuziehen. Sie blieb ihnen auf den Fersen, gleichgültig, wohin Susanna und Patrick auch gingen.
Nach dem Abendessen wies Antoinette Patrick ein Schlafzimmer zu. Nicht einmal jetzt hatten sie ein paar Minuten für sich. Und das, wo sie so viel zu besprechen hatten. Antoinette ließ ihnen keine Chance. Nachdem Susanna und Patrick das Bett bezogen hatten, räusperte sie sich.
„Wenn ihr fertig seid, können wir zu Bett gehen. Komm Kind, sag‘ Gute Nacht.“ Sie schob Susanna zur Tür hinaus. Im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um. „Du weißt, dass ich nebenan wohne?“, fragte sie Patrick mit einem Lächeln, das Ozeane hätte gefrieren lassen können. „Ich habe einen sehr leichten Schlaf.“
Patrick nickte stumm. Er wirkte eingeschüchtert. Zwar ärgerte sich Susanna über Tonis Drohung, aber bei dem Anblick von Patricks Gesichtsausdruck, musste sie beinahe lachen. Sie winkte ihm aufmunternd zu, ehe sie dem Druck der Hand auf ihrer Schulter nachgab.
***
Über Shahid lag eine mondlose Nacht. Nur einige Sterne blitzen in der Dunkelheit. Windschiefe Hütten drängten sich an die Stadtmauer wie Pappschachteln, die einander daran hinderten umzustürzen. Die Menschen, die hier wohnten, gehörten zu den Ärmsten des Landes. Meist handelte es sich um Tagelöhner, die sich jeden Tag aufs Neue auf die Suche nach Arbeit machten. Morgens wussten sie nicht, ob das Geld am Abend für etwas Brot reichen würde.
Ein Fremder betrat das Viertel. In der Dunkelheit war kaum mehr als seine Silhouette zu erkennen, dennoch konnte einem aufmerksamen Beobachter die gedrungene Gestalt nicht entgehen. Langsam schlich sie durch die Straßen.
Das Haus, vor dem der Fremde anhielt, gehörte Yunus, einem Mann, der für den besonders geschickten Umgang mit Messern und Stichwaffen aller Art bekannt war. Er
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