Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
dieser Kerl nur schon einmal begegnet?
Da plötzlich wusste sie es. Es war der Mann, der ihr am Vorabend im Wald aufgelauert hatte. Sie schrie auf, Tränen schossen in ihre Augen. Mit einem Satz sprang sie zurück.
Schwer atmend presste sich Susanna an das Kopfteil ihres Bettes. Ihre Zähne schlugen aufeinander. Was wollte der Kerl von ihr? Sie drehte sich um. Es kostete sie beinahe alle Kraft, über die sie verfügte. Trotzdem wandte sie noch einmal dem Fenster zu. Sie griff nach der Gardinenschnur und riss daran. Knatternd schloss sich der Vorhang. Dennoch wagte sie nicht, das Licht einzuschalten.
Die Angst hielt Susanna fest im Griff. Ihr Herz raste. In ihren Ohren rauschte das Blut. Sie zog sich hastig die Decke über den Kopf. Zusammengerollt wie ein Baby lag sie da, bis sie schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
9. Gebt mir Antworten - Bitte
I rgendwann musste sie eingeschlafen sein, denn das Klingeln des Weckers riss sie aus unruhigen Träumen. Die unheimliche Stimmung war der Helligkeit des Tages gewichen.
Toni saß im Esszimmer, als Susanna zum Frühstück erschien.
„Wie siehst du denn aus? Hast du geweint?“
Da platze es aus Susanna heraus. Alles, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Je länger sie sprach, desto mehr verdüsterte sich Tonis Miene.
„Das sind doch nur Ammenmärchen.“
„Ich bilde mir das ja wohl kaum ein. Außerdem sagten die Leute diesen arabischen Satz.“
Toni zögerte. Dann schüttelte sie mit dem Kopf.
„Mag sein, dass es dir real vorkommt. Aber das ist es nicht. Du kannst dich getrost beruhigen.“ Ihre Stimme hatte einen metallischen Unterton. „Nun will ich nichts mehr davon hören.“
Sie stand auf und verließ das Esszimmer. Susanna blieb allein zurück. Nachdenklich verharrte sie am Tisch. Warum tat Toni Susannas Erlebnisse einfach so ab? Sie war doch nicht verrückt. Oder …? Einen Augenblick zweifelte sie, doch dann besann sie sich. Es war geschehen, alles, da mochte Toni sagen, was sie wollte.
Susanna machte sich auf den Weg zu Herrn Moulin. Im Gegensatz zum Vortag traf sie heute nur auf wenige Dorfbewohner. Nachdenklich ging sie durch die Straßen. Im Sonnenschein begann sie zu schwitzen. Sie hielt an, streifte die Jacke ab und stopfte sie in ihre Tasche.
„Bitte entschuldige“, erklang eine Stimme. Sie fuhr herum. Nicht schon wieder dieser Kerl. „Du musst keine Angst haben. Bitte! Hör mir nur eine Minute zu, dann wirst du verstehen.“ Er ergriff ihren Arm.
Schon als kleines Mädchen hatte Susanna gelernt, den freundlichen Worten fremder Männer nicht zu trauen. Sie wäre gern fortgelaufen, aber er hielt sie fest. Sie sah sich nach Hilfe um. Niemand war zu sehen.
Susanna betrachtete den Fremden, sein Haar glänzte in der Sonne. Eine Strähne fiel ihm jungenhaft in die Stirn. Er strich sie zurück und blickte Susanna aus braunen Augen eindringlich an. Er hätte vertrauenswürdig wirken können, wäre da nicht etwas in seiner Ausstrahlung gewesen, das Susanna nicht einordnen konnte. Sein kantiges Gesicht wirkte anziehend, ja beinahe verführerisch, gleichzeitig jedoch war es von einem Geheimnis umgeben.
„Wirst du mir zuhören?“, fragte er.
„Zuerst lassen Sie mich los.
„Ob das so eine gute Idee ist?“ Er zögerte. „Versprich mir, nicht wieder wegzulaufen.“
„Ich verspreche es.“ Über diese Antwort hatte sie nicht lange nachdenken müssen. Es konnte kaum verboten sein, einen Entführer zu belügen.
Er lockerte den Griff um ihren Arm. Susanna spannte die Muskeln an.
„Mein Name ist Samuel“, stellte er sich vor.
„Was wollen Sie von mir?“
Warum ließ er sie nicht los?
„Es ist kompliziert.“
„Vielleicht sollten wir uns setzen?“
„Ja vielleicht“. Er trat einen Schritt zurück und schaute sich suchend um. Susanna zögerte nicht lange. Mit aller Kraft warf sie ihm die Schultasche in den Rücken. Dann wandte sich um und rannte den Weg zurück, den sie gekommen war.
„Warte“, rief er ihr nach.
Sie rannte weiter. Dann hörte sie seine Schritte. Nur fort. Susanna bog ab, doch er folgte ihr weiterhin.
„Hör mir doch zu“, rief er.
Sie schoss um die nächste Ecke. Hier kannte sie sich aus. Wenn sie noch einmal abböge, käme sie an der Stelle heraus, an der sie die Tasche nach ihm geworfen hatte. Von dort war es nicht weit bis zum Haus von Herrn Moulin.
Der Kerl gab nicht auf, immer noch lief er hinter ihr her. Er kam näher heran.
„Warte doch, ich tue
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