Am dreizehnten Tag: Die Bestimmung (German Edition)
haben. Ich weiß nicht einmal, wie ich dort hinkommen soll.“
„Susanna.“ Samuel nahm ihre Hand. „Das Übel schwappt bereits hierher. Man hört es täglich in den Nachrichten und es werden immer mehr Unglücksfälle. Ich verlange ja nicht von dir, dass du allein gehst. Außerdem wissen wir doch noch gar nicht, ob es wirklich deine Bestimmung sein wird.“
Susanna starrte auf ihre Hand. Sie konnte unmöglich in diesem Moment eine Entscheidung treffen. Sie war Albin immer noch böse, weil er sie bei Toni abgeladen hatte.
Während sie nachdachte, hörte sie Patrick und Samuel mit halbem Ohr zu. Die beiden schienen zu streiten. Als sie lauter wurden, horchte Susanna auf.
„Ich kann Susanna gut verstehen“, schimpfte Patrick gerade. „Mir erklärt auch keiner, was vorgeht. Woher weißt du eigentlich diese Dinge? Stammst du auch aus Kis-Ba-Shahid? Und was ist mit meiner Mutter?“
„Nein, das tun wir nicht“, versicherte Samuel. „Mehr kann ich dir nicht sagen. Du wirst mir vertrauen müssen. Wenn deine Mutter es für richtig hält, sagt sie dir schon, was du wissen musst.“
„Super. Und ich muss solange für dich die Drecksarbeit machen und krieg zu Hause den Ärger.“
„Susanna musste die Flasche bekommen. Sie gehört zu den direkten Nachkommen.“
Susanna mischte sich ein. „Ihr redet über mich, als wäre ich nicht hier. Das wollte ich sowieso fragen. Was hat es mit dieser Karaffe auf sich? Wieso leuchtet das Ding , und was hat der Brief zu bedeuten?“
„Der Brief enthält die Worte deines Urahns“, sagte Samuel.
„Bedeutet das, er war in dieser Flasche gefangen?“
„Ich wusste, du würdest es verstehen.“ Er klang stolz. „Der Brief ist eine Warnung. Hast du das Schreiben noch?“
„Nein. Albin hat es mir weggenommen, ehe wir losfuhren. Ich verstehe eigentlich nicht, warum er mich ausgerechnet hierher gebracht hat? Hier, wo alle diese Grenzgänger wohnen.“
„Außer ihm gibt es meines Wissens nach nur Antoinette. Wo hätte er dich sonst unterbringen sollen? Der Rest deiner Familie lebt in Kis-Ba-Shahid.“
„Ist die Flasche denn gefährlich? “, fragte Susanna.
„Nur wenn du sie öffnest. Der Spruch, mit dem die Dschinn in die Flaschen gebannt wurden, hatte eine Art Nebenwirkung. Es reichte aus, den Stopfen zu ziehen, um den Geist erneut hinein zu befördern. Und da Hassan Ben Ali ja früher ein Geist war, lebte er in ständiger Gefahr. Dummerweise wirkt der Bannspruch auch bei seinen Nachkommen. Aus diesem Grund muss die Karaffe stets im Besitz der Familie bleiben.“
„Und warum leuchtet sie, wenn ich sie berühre?“, fragte Susanna.
Samuel lächelte. „Das verdankst du dem Zauberer an Tughrul Begs Hof. Er hat sie mit einem Spruch belegt. Berührst du den Korken, mahnt dich das Licht.“
Es dämmerte. Unbemerkt hatte sich der Abend herangeschlichen, nun wich er bereits der Nacht. Susanna sah auf die Uhr. Beinahe neun.
„Mist, ich muss zurück.“ Sie hielt Samuel die Hand hin, um sich zu verabschieden. Doch statt sie zu ergreifen, packte er Susanna bei den Schultern und sah ihr in die Augen.
„Bevor du gehst, musst du dich entscheiden. Wirst du Kis-Ba-Shahid helfen?“
Seine Gestalt zeichnete sich wie ein Scherenschnitt vor den Bäumen ab. Genau an dieser Stelle waren sie einander zum ersten Mal begegnet. Nun , da Susanna ihn kennengelernt hatte, wirkte er weniger bedrohlich, trotzdem umgab ihn ein Rest von Gefahr. Es verlangte Mut, ihm zu widersprechen.
„Ich will darüber nachdenken“, sagte sie mit fester Stimme. „Aber zuvor spreche ich mit meinem Vater.“
„Ich halte das für keine gute Idee. Du gehst unnötige Risiken ein. Was, wenn er dich erneut fortbringt? Wenn es unbedingt sein muss, lass dir für die Entscheidung etwas Zeit.“
Ging von Albin tatsächlich ein Risiko aus? Unsicher knabberte Susanna an ihrer Unterlippe.
„Ich werde darüber nachdenken“, versprach sie schließlich.
***
Die Nacht wich dem Tag. Über der Wüste ging die Sonne auf. Bald erstrahlte die Oase in gleißendem Licht.
Nachdem Yunus den nächtlichen Besucher fortgeschickt hatte, lag er lange wach und dachte nach. Er hatte die Entscheidung nach seinem Gewissen gefällt. Dennoch quälte ihn die Furcht, eine falsche Wahl getroffen zu haben. Hätte er dem Fremden gehorchen sollen? Die Drohung des Mannes klang in ihm nach: „Großes Übel wird über dich kommen.“
Was ihm während der Dunkelheit noch ein Schaudern in die Glieder gejagt hatte, erschien ihm
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