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Am Ende der Nacht

Am Ende der Nacht

Titel: Am Ende der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Kontakt kam und nur beschränkten Zugang zum Werk hatte.
Und er ließ ihm gefälschte Produktionszahlen und Finanzaufstellungen vorlegen.
Als Win schließlich merkte, was lief, war es schon zu spät, und das FBI
sammelte bereits Beweise. Er ging zum Alten und versuchte, es ihm zu sagen,
aber Stirling wollte nichts davon hören. Also beschloß Win, es einfach
auszusitzen und Dune den Kopf in die Schlinge stecken zu lassen. Und
anschließend sammelte er die Scherben ein.«
    »Er hätte doch zum FBI gehen können.
Ash Walker hat es auch getan.«
    »Walker hatte Beweise gesammelt; er
hatte etwas, was er gegen Straffreiheit und Schutz eintauschen konnte. Win
hatte ihnen nichts Konkretes zu bieten.«
    »Aber schließlich hat er doch mit ihnen
kooperiert.«
    »Natürlich. Win war darauf aus, seinen
eigenen Hintern zu retten, und das ist ihm auch gelungen.«
    »Sie reden, als ob Sie Reade gut kennen
würden.«
    »Ach, zum Teufel, in Aida kennt jeder
jeden. Wir sind zusammen aufgewachsen, Win und ich. Ich glaube, er hat mir
sogar meinen ersten Kuß gegeben, beim Flaschendrehen.«
    »Welcher Art ist Reades Verhältnis zu Calder
Franklin?«
    Fowler wirkte aufgeschreckt. »Warum
interessieren Sie sich so für Cal?«
    »Ich versuche mir ein Bild von den
Leuten zu machen, die mit David Stirling zu tun hatten, das ist alles.«
    »Tja, ich weiß gar nicht, ob da
überhaupt irgendein Verhältnis besteht. Cal hat einiges für die Firma getan,
also hatte er natürlich mit Win zu tun. Vielleicht ist er auch Wins
persönlicher Anwalt; Win und der Alte waren ja quasi familiär verbunden, also
steht es eigentlich zu erwarten.«
    »Verstehen sich die beiden?«
    »Ich nehme es an.«
    »Und Reade — wie ist er so als Mensch?«
    »Tja, obwohl ich ihn so lange Jahre
kenne — und auf der High-School sogar mal etwa zwei Wochen fest mit ihm
gegangen bin — , kann ich das kaum sagen. Er ist ein Chamäleon. Kann sehr
charmant sein. Rücksichtslos, wenn’s ums Geschäft geht. Ein Einzelgänger wie
Dune — er hat nie geheiratet aber nicht ohne soziales Geschick. Man kann ihn
irgendwo hinstellen, und er fügt sich nahtlos ein. Hochintelligent und, wie
gesagt, mit allen Wassern gewaschen. Man kriegt ihn nicht so leicht dran. Loyal
— versteht sich. Er hat immer zu David Stirling gehalten, durch dick und dünn.
Er hat mir mal erzählt, er sieht den Alten als so eine Art Ersatzvater. Und
jetzt, schätze ich, betrachtet ihn der Alte als seinen Sohn.«
    »Ich würde auch gern mit Reade reden.«
    Fowler lächelte. »Versuchen Sie’s beim
Alten mit der Story, daß Sie wissen, wo Dune ist. Wenn Sie zu ihm Vordringen,
treffen Sie auch Win. Auf keinen Fall würde so ein Gespräch ohne ihn
stattfinden. Seien Sie überzeugend genug, und Sie werden noch heute nachmittag
mit den beiden Tee trinken.«
     
     
     
     

16
    Es gab tatsächlich Tee. Aus feinsten
Porzellantassen, in die er aus einer Silberkanne gegossen wurde. Sahne,
Würfelzucker, Zitronenscheibchen und dünne Vanillewaffeln wurden herumgereicht,
ehe die junge Frau in Dienstmädchentracht David Sterlings rosenholzgetäfelte
Bibliothek verließ.
    Seit er krebskrank sei, erklärte mir
der alte Mann im Rollstuhl, seien die kleinen täglichen Rituale für ihn
lebenswichtig. »Wenn man das schleifen läßt«, sagte er, »macht man es dem Tod
zu leicht.«
    Das entschlossen vorgeschobene Kinn
verriet, daß er dem Tod eine spannende Partie zu liefern gedachte, aber der
Krebs hatte ihn bereits sichtlich gezeichnet: seine Augen lagen tief in ihren
Höhlen, und seine Haut war papieren, sah aus, als müßten sie die feinen Knochen
jeden Moment durchstoßen. Doch selbst unter seiner Wolldecke, die Füße in den
weichen Ledermokassins auf der Fußstütze des Rollstuhls, hatte Stirling etwas
Gebieterisches. Er mochte ja vielleicht die kriminellen Aktivitäten seines
Sohns leugnen, aber ansonsten war er hellwach und im Vollbesitz seiner
geistigen Kräfte. Der alte Mann würde kämpfend untergehen, und bis dahin würde
ihm niemand etwas vormachen.
    Ich war froh, daß ich mir die Mühe
gemacht hatte, mir meine Geschichte genau zurechtzulegen, sie mit Details
auszupolstern und so eng an die Wahrheit anzulehnen, daß ich selbstsicher lügen
konnte. Die Story würde einem strengen Kreuzverhör und eventuellen Recherchen
seitens des alten Herrn standhalten müssen. Stirling hatte gesagt, sein
geschäftsführender Direktor werde ebenfalls kommen, und er war ganz
offensichtlich nicht willens, zum Thema zu kommen,

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