Am Ende der Treppe, hinter der Tür (German Edition)
Augen.
«Gut, dass du da bist, Martha», sagt Constanze. «Es ist etwas Schlimmes passiert. Frau Dr. Dernburg ist tot.»
Das Erste, was Martha spürt, ist ein Gefühl großer Erleichterung. Nun gibt es keine Scherereien wegen des Päckchens mehr. Seit Dienstag war sie jedes Mal, wenn sie auf der Treppe Schritte hörte, zusammengezuckt und hatte damit gerechnet, dass Frau Dernburg vor der Tür stehen und nach dem Päckchen fragen würde. Aber was will der Mann hier? Etwa ein Vertreter? Doch dann hätte er nicht so ein hässliches Sweatshirt an, sondern eher ein Jackett.
Der Mann erhebt sich kurz: «Kommissar Heinrich, wir fragen alle Bewohner im Haus, wann sie Frau Dr. Dernburg das letzte Mal gesehen haben.»
«Du hast sie doch gesehen, Martha, nicht wahr? Am Dienstagnachmittag, als du das Päckchen bei ihr abgeholt hast.»
Martha schießt das Blut ins Gesicht, der Kommissar schaut glücklicherweise gerade auf seinen Notizblock. «Um wie viel Uhr war das ungefähr?», fragt er.
Martha überlegt. Als sie das zweite Mal in der Dernburg’schen Wohnung gewesen war, muss es halb vier gewesen sein. Kurz darauf war die Therapeutin aufgetaucht.
«Kurz nach halb vier», sagt sie.
«Ist dir da irgendetwas aufgefallen?», fragt Kommissar Heinrich und fährt sich über das zurückgegelte Haar.
Martha zögert, soll sie von dem Besucher berichten? Aber dann müsste sie ja auch erzählen, dass sie sich bei der Dernburg im Schrank versteckt gehalten hatte. Sie schüttelt den Kopf. «Nein, aber was ist denn mit Frau Dernburg passiert?» Die Polizei würde ja wohl kaum fragen, wenn sie einen Herzinfarkt gehabt hätte.
Der Kommissar steht auf. «Ihre Putzfrau hat ihre Leiche heute Morgen gefunden. Wir können ein Fremdverschulden nicht ausschließen.»
Dann wendet er sich an Constanze. «Sobald wir den Obduktionsbericht haben und den Todeszeitpunkt enger eingrenzen können, kann es sein, dass wir noch einmal mit Ihrer Tochter sprechen müssen. In Ihrer Gegenwart natürlich.»
Martha spürt, wie eine eisige Kälte in ihr aufsteigt. «Aber ich hab doch nur mein Päckchen –»
Der Kommissar hebt beruhigend die Hände. «Natürlich. Dich verdächtigt doch auch niemand. Aber du bist womöglich die Letzte, die Frau Dernburg lebend gesehen hat, und damit eine wichtige Zeugin.»
Wieder spricht er Marthas Mutter an. «Sie hatten nicht zufällig einen Schlüssel zu ihrer Wohnung? Zum Blumengießen oder so?»
«Nein, wir waren nicht sehr eng miteinander. Mal ein guten Tag im Hausflur, mehr nicht.»
Kommissar Heinrich klappt sein Notizbuch zu und steckt es ein. «Dann wär’s das fürs Erste.»
Am Abend gibt es natürlich nur ein Gesprächsthema.
«Euch ist ja wohl klar, was ‹Fremdverschulden› heißt», sagt Marthas Mutter. Dann formt sie mit den Lippen das Wort
Mord
. Poppy ist zwar gerade damit beschäftigt, eine hässliche Plastikpuppe mit zermatschten Kartoffeln zu füttern, aber sie bekommt immer das mit, was sie nicht mitbekommen soll.
Marthas Mutter schaut an die Decke. «Und das direkt über uns.»
«Was ist direkt über uns?», fragt Poppy.
«Frau Dr. Dernburg, die über uns gewohnt hat, ist gestorben, Penelope», sagt Johannes.
«Warum ist sie gestorben? Hatte sie auch einen Unfall?» Poppy stopft sich den Daumen in den Mund, ihre Augen werden ganz groß.
«Ja, das … das kann man so sagen. Du, ich glaube, deine Puppe ist satt, was hältst du davon, wenn ich mit euch ins Bad gehe und ihr in die Wanne steigt?»
«Au ja, dann machen wir beide Pipi ins Wasser!»
Martha verdreht die Augen, aber sie sagt nichts. Ihre Gedanken jagen wild durcheinander. Kann es sein, dass sie den Mörder gehört hat? Vielleicht war er ja sogar noch in der Wohnung, als sie das letzte Mal oben war und geklingelt hat. Vielleicht ist sie selber nur knapp einem Verbrechen entgangen! Sie muss das der Polizei sagen, unbedingt. Sie macht schon den Mund auf, schließt ihn aber wieder. Sie ist in eine fremde Wohnung eingedrungen und hat sich dort versteckt, bestimmt ist das strafbar. Was soll sie nur tun? Jill! Sie muss Jill anrufen. Wenn sich jemand in diesen Dingen auskennt, dann ihre Freundin.
Aber erst muss sie ihrer Mutter beim Einräumen der Geschirrspülmaschine helfen, das Bügelbrett aufstellen, Wäsche sortieren und zusammenlegen.
«Das sind aber nicht meine Sachen», sagt sie und hält mit spitzen Fingern eine Unterhose mit rosa Herzchen drauf in die Höhe.
«Martha! Das ist doch egal, wem was gehört. Wir leben hier
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