Am Ende der Wildnis
Flugzeugen und Zelluloid.
Während Holzknappheit die Briten im Laufe des 17. Jahr hunderts gezwungen hatte, mehr und mehr auf Kohle umzusteigen, blieb in Nordamerika über weitere zweihundert Jahre Holz der wichtigste Brennstoff. Um 1870 verschwanden jedes Jahr rund acht Millionen Klafter Holz in den Feuerkammern nordamerikanischer Lokomotiven – genug, um fast siebenhunderttausend Häuser zu bauen. Währenddessen verschlangen die Hochöfen im westlichen Massachusetts vierzig Quadratkilometer Wald im Jahr. Im selben Zeitraum erzeugten die Sägewerke von Central Maine eine Viertelmillion Kubikmeter Holz abfälle. Man schätzt, dass ein Viertel des gesamten Holzes, das im 19. Jahrhundert die Sägewerke durchlief, diese als Sägespäne verlassen hat, die aus Sicherheitsgründen komplett verbrannt werden mussten. Die Werke befanden sich meist an Wasserläufen, sodass die Unmengen an Sägespänen und Holzschnitzeln nicht nur eine Gefahr für die Navigation zu Wasser bedeuteten, sondern manchmal zusammen mit Holzstau Feuer fingen, sodass Flüsse in einigen Fällen wochenlang brannten, genau wie ein Jahrhundert später durch Verschmutzung mit Öl oder Chemikalien.
Das jahreszeitabhängige Abbrennen von Ackerflächen und Unterholz ist schon seit prähistorischen Zeiten gängige Praxis, und die zusätzliche Verbrennung von Sägewerkabfällen und Schlagrücklass vergrößerte nur noch die über weiten Teilen der Neuen Welt hängende Giftwolke. Sie war so dicht und hartnäckig, dass sie oft den Schiffsverkehr auf wichtigen Flüssen lahmlegte. Im Jahr 1868 wurden für den Willamette River in Oregon Leuchttürme als Navigationshilfen empfohlen – nicht wegen der Winternebel, sondern wegen der Herbstfeuer. Die in den Vereinigten Staaten und Kanada angewendeten Holzschlagpraktiken machten den Wald extrem feuergefährlich. Wo die Häutung der Büffel kleine Hügel aus Knochen hinterlassen hatte, ließen die Holzfäller riesige Haufen hochentzündlicher Waldabfälle zurück, die einen Durchmesser von mehreren Hektar und eine Höhe von vier Metern erreichen konnten. Weil sie geballtere Kraft besitzen als das normale Brennmaterial im Wald, waren diese Abfallhaufen potenzielle Großbrände, die nur noch auf den Zündfunken warteten, und wenn zwangsläufig ein Brand ausbrach, waren die Folgen apokalyptisch. Überlebende erinnern sich häufig daran, dass sie überzeugt waren, der Tag des Jüngsten Gerichts sei gekom men, und mit Bezug auf die schlimmsten dieser todbringen den Feuersbrünste wurde der Begriff firestorm geprägt. 1871, am Tag des Großbrands in Chicago, verbrannten bei einer Feuersbrunst in Peshtigo, Wisconsin, innerhalb von vierundzwanzig Stunden ungefähr fünftausend Quadratkilometer, und man schätzt, dass fünfzehnhundert Menschen umkamen – viele Hunderte Tote wurden in Massengräbern beigesetzt, weil niemand übrig war, der sie hätte identifizieren können. Im Jahr 1886 brannte die junge Stadt Vancouver, die damals aus etwa tausend Holzgebäu den bestand, durch ein außer Kontrolle geratenes Feuer zum Verbrennen von Forstabfällen bis auf die Grund mauern nieder, und vorsichtigen Schätzungen zufolge geschah das innerhalb von nur fünfundvierzig Minuten. 1894 wurden beim Feuer in Hinckley, Minnesota, zwölf Städte zerstört, und über vierhundert Menschen fielen den Flammen zum Opfer oder erstickten. Überlebende berichteten von explodierenden »Feuerbällen« und spiralförmigen Flammen, die sich in ihren selbst erzeugten Winden so heftig drehten, dass sie Bäume aus dem Boden rissen und sie wie leuchtende Feuerräder wirbelnd in den verdunkelten Himmel schickten. Ein anderes solches Feuer in Seney, Michigan, brannte so erbarmungslos, dass es den Boden kauterisierte. Der Mittlere Westen ist gespickt mit solchen stump prairies (Baumstumpfprärien), viele sind bis heute Ödland.
Selbst zu diesem späten Zeitpunkt, als weite Teile des Ostens und Mittleren Westens bereits »abgelutscht« waren, wurde der Wald immer noch als »ein mit allen Mitteln, ob gut oder bös’, zu bekämpfender Feind« verstanden. Der Impuls, in den Westen vorzustoßen, bewirkte in Verbindung mit den dramatischen kulturellen Veränderungen aufgrund der industriellen Revolution und Urbanisierung, dass die Wälder mit aggressiver Geringschätzung wahrgenommen und behandelt wurden. Holz als lumber zu bezeichnen war abwertend, da dieses Wort ansonsten für alles Nutzlose oder Lästige gebraucht wurde. Nordamerikanische Einwanderer waren
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