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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Vaillant
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die Sahne abzuschöpfen und dann zu verschwinden. Auch was sein Haus betraf, ließ er Taten sprechen. In einer Stadt – und einer Industrie –, in der Menschen, Rohstoffe und sogar Heimstätten ausgebeutet und verlassen werden, steht das Hadwin-Haus allein auf weiter Flur als eine Art Monument der Dauerhaftigkeit.
    Aber wie sich herausstellte, konnte Hadwins Timing gar nicht schlechter sein, denn er sprach sich zu einem Zeitpunkt für Einschränkung und Mäßigung aus, als die Holzindustrie in eine ihrer aggressivsten Phasen eintrat. Die Achtziger waren die Zeit des berüchtigten Kahlschlags im Bowron-Flusstal, der initiiert worden war, um die sich explosiv ausbreitende Bergkiefernkäfer-Plage unter Kontrolle zu bekommen. Noch heute wird darüber diskutiert, wann die Plage eingedämmt war und wann ungezügelter Opportunismus überhandnahm. Jedenfalls war das Ergebnis eine seesternförmige Schneise rasierter Erde, die sich über mehr als fünfhundert Quadratkilometer im zentralen Binnenland von British Columbia erstreckte. *****
    Einheimische Förster nannten den Kahlschlag stolz das einzige von Menschenhand geschaffene Objekt außer der Chinesischen Mauer, das aus dem Weltraum zu sehen ist. Nicht lange danach und nach ähnlichen Ereignissen wurde British Columbia der abfällige Beiname »Brasilien des Nordens« verliehen. Seit es aufgeforstet wurde und den Namen »New Forest« bekommen hat, hebt sich das Bowron-Tal zwar nicht mehr so sehr hervor, aber es bleibt ein Symbol für die zweifelhafte, von wechselseitiger Abhängigkeit geprägte Beziehung zwischen der Provinzregierung und den riesigen multinationalen Konzernen, die inzwischen den größten Teil der Holzindustrie kontrollieren.
    Zu jener Zeit hatten Umweltschutzgruppen schon seit Jahren dafür gekämpft, die großen Bäume an der Küste zu erhalten, aber was das weniger fotogene alpine Holz um Gold Bridge betraf, war Hadwins Stimme die des einsamen Rufers in der Wüste. »Er war seiner Zeit voraus«, erinnerte sich Brian Tremblay, der Hadwin schon seit der Teenager-zeit kannte. »Er befand sich auf seiner eigenen Umlaufbahn: Er sprach als Allererster von Umweltschutz und angemessenem Forstmanagement.«
    Zu Hadwins Pflichten zählte es, detaillierte Berichte über die Gebiete anzufertigen, die er erkundet und sondiert hatte. Dokumente dieser Art sind von jeher trocken, nützlichkeitsbezogen und austauschbar, aber Hadwin benutzte sie immer häufiger als Plattform, um Kritik an Methoden des Holzeinschlags anzumelden und Empfehlungen auszusprechen, welche Gebiete seiner Ansicht nach verschont bleiben sollten. Evans Wood Products hatte Hadwin wegen seiner Energie und Ausdauer und wegen seiner planerischen Fähigkeiten angeheuert, nicht wegen seiner persönlichen Ansichten, und seine manchmal exaltierte Infragestellung des Status quo wurde in der Zentrale nicht gerne gehört. Am Büroschreibtisch konzipierte Firmenpolitik lag Hadwin absolut nicht, und einen Teamplayer konnte man ihn kaum nennen. Obwohl sie seine Arbeit respektierten, kam es zu Reibereien zwischen ihm und seinen Vorgesetzten. Seine Unabhängigkeit und seine isolierte Stellung erwiesen sich als nachteilig, und als sich die Reihen in Lillooet schlossen, musste Hadwin feststellen, dass er außen vor geblieben war. »Ich war einer der Letzten, die diese Gebiete sahen, bevor sie abgeholzt wurden«, sollte er später einem Reporter erklären. »Diverse Male habe ich mich eingemischt, um dieses oder jenes Waldstück zu retten, aber immer erfolglos. Ich schätze, dadurch wurde ich allmählich zynisch.«
    Vielleicht könnte man einwenden, Hadwins Bedenken seien Berufsrisiko gewesen. Holzsucher und Gutachter sind Avatare der Heisenberg’schen Unschärferelation: So sehr sie Holzkenner und Baumliebhaber sein mögen, sind ihre Beobachtungen doch dazu bestimmt, dramatische, wenn nicht gar katastrophale Auswirkungen auf die Landschaft zu haben. Sie sind die letzten Menschen, die den Wald noch unbeschadet sehen. Aber zu versuchen, in diesen Ablauf einzugreifen oder ihn auch nur innerhalb der Industrie infrage zu stellen, war ein Fehler – nicht nur in kultureller Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die damalige Zeitströmung. Paul Harris-Jones zählt zu den wenigen, die das Glück hatten, das legendäre Nimpkish Valley auf Vancouver Island noch in seiner ganzen Herrlichkeit zu sehen. Das Nimpkish wies einen der umfangreichsten Bestände an großen Bäumen in der Provinz aus: Kilometer auf Kilometer

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