Am Ende der Wildnis
ihn anschließend gegen eine Kaution von fünfhundert Dollar. Der Polizei bereits bekannt und auch misstrauisch ihr gegenüber, bot man ihm keinen Schutz an, und er bat auch nicht darum. Manche witterten Fluchtgefahr, aber es gab keine juristische Handhabe, ihn in Gewahrsam zu behalten.
Hadwin zog ziemlich bald zu Cora Gray in Hazelton, zweihundertachtzig Kilometer den Skeena River flussaufwärts, aber seine Anwesenheit dort ließ andere Mitglieder des Gitxsan-Stammes fürchten, man könne sie für Komplizen an dem Verbrechen halten, und sie waren bemüht, sich von dem seltsamen, aber großzügigen weißen Mann in ihrer Mitte zu distanzieren.
Kurz nach seiner Festnahme und der anschließenden Freilassung wurde der gesamte Inhalt von Hadwins Brief in den Lokalzeitungen veröffentlicht, und während der nächsten paar Wochen führte er mittels Zeitungen auf beiden Seiten der Hecate Strait einen Dialog mit aufgebrachten Einheimischen. In einem Artikel mit der Überschrift »Erzürnt wegen der goldenen Fichte? Ändern Sie Ihren Blickwinkel, sagt Hadwin« erklärte er einem Reporter des Queen Charlotte Islands Observer , dass »wir dazu neigen, un ser Augenmerk auf einzelne Bäume wie die goldene Fichte zu richten, während gleichzeitig der Rest der Wälder niedergemetzelt wird«. Anschließend verglich er die von Großunternehmen eingerichteten Schutzgebiete wie das um die goldene Fichte und den Cathedral Grove auf Vancouver Island mit Zirkusattraktionen. »Man möchte, dass sich das Interesse aller nur darauf richtet und die Zerstörung vergessen wird, die dahinter verborgen ist. Wenn jemand eine dieser Missbildungen der Natur angreift, hält man es gleich für einen Holocaust, aber der wahre Holocaust spielt sich woanders ab. Im Moment gilt der ganze Zorn der Leute mir, aber sie sollten ihn lieber auf die Zerstörung richten, die um sie herum stattfindet.«
Zwar gestand Hadwin durchaus den Affront gegenüber den Haida ein, brachte es aber nicht über sich, eine uneingeschränkte Entschuldigung auszusprechen. »Meinerseits bestand nicht die geringste Absicht, die Ureinwohner zu beleidigen«, erklärte er. »Sie sollten in mir den Menschen sehen, der normalerweise dem Leben mit großem Respekt begegnet und jetzt etwas sehr Respektloses getan hat. Und sich fragen, warum.«
Doch das war zu viel verlangt. Hadwin hatte den womög lich einzigen Baum auf dem Kontinent gefällt, der Ur einwohner, Holzfäller und Umweltschützer, gar nicht erst zu reden von Wissenschaftlern, Förstern und Normalbürgern, in Trauer und Empörung zu vereinen vermochte. Inzwischen trafen Zeitungs- und Fernsehreporter aus ganz Kanada scharenweise auf den Inseln ein, um über das Ereignis zu berichten, und es fand nicht nur in der New York Times und in National Geographic Erwähnung, sondern wurde auch im Discovery Channel zum Thema. Scott Alexander, Sprecher von MacMillan Bloedel, war über rascht von diesem geballten Medieninteresse. »Hier ist anscheinend ein wunder Punkt getroffen worden«, sagte er einem Reporter. »Ich weiß nicht genau, warum, aber von Tag zu Tag wird das Thema immer mehr an die große Glocke gehängt.« Karikaturisten, Dichter, Songschreiber und darstellende Künstler waren ebenfalls entsetzt und fasziniert vom Tod des Baumes, und Versuche, sein Andenken in Ehren zu halten, bedienten sich aller erdenklicher Formen: von holperigen Versen bis zu einem exquisiten Aubusson-Bildteppich, an dem eine Meisterin und ihr Lehrling ein ganzes Jahr gewebt haben mussten. In einigen Fällen verirrten sich die Lobgesänge in unerforschte Gefilde: »Kann es jemals wieder eine goldene Fichte geben?«, lamentierte ein Kolumnist im Times-Colonist von Victoria. »Kann es jemals wieder einen Gandhi oder einen Martin Luther King geben?«
»Wenn die Gesellschaft einem einzigen mutierten Baum so viel Gewicht beimisst und ignoriert, was mit dem Rest des Waldes geschieht, sollte nicht die Person, die darauf hinweist, abgestempelt werden«, erklärte Hadwin einem Reporter aus Prince Rupert, der an seinem Verstand zweifelte. Zumindest kurzfristig bewies die kollektive Reaktion auf den Verlust der goldenen Fichte, dass er mit seiner Überzeugung recht hatte: Die Menschen übersehen wegen eines Baumes den ganzen Wald.
Niemand unterstützte Hadwin öffentlich, aber es gab einige, die mit ihm sympathisierten. »Ich halte ihn für irregeleitet«, äußerte sich ein einheimischer Holzfäller, »aber ich könnte seine Motivation nachvollziehen – seinen
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