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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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frühere Nachbarin hatte damit gerechnet, dass er irgendwann wieder bei ihr auftauchen würde. Als seine Wohnung leergeräumt wurde, hatte sie seine privaten Papiere, Zeugnisse, Soldbücher und einige Familienfotos gerettet.
    Der Schuster sah ihm über die Schulter. »Und das gehört auch bestimmt Ihnen?«
    Kajetan riss den Umschlag auf, zog einige Fotografien heraus und hielt sie dem Fragenden vor die Augen. »Mein Vater«, sagte er und bemerkte im gleichen Moment, wie ihm die Kehle eng wurde. »Und das ist der Onkel Giuseppe beim Ziegelschlagen in Föhring draußen … und das …«, er zeigte auf das Bild einer jungen Frau, die, neben anderen Frauen auf einer übermannshoch geschichteten Mauer getrockneter Ziegel stehend, den Betrachter mit ernstem Blick ansah, »… ist meine …« Er fasste sich: »Meine Mutter. Sie ist gestorben, wie ich noch keine zehn war.«
    Der Schuster bemerkte Kajetans Bewegung. Er wehrte dessen Dank ab, als sein Besucher den Laden verließ.
    Ein Blick auf die Uhr des Rathauses sagte Kajetan, dass noch etwas Zeit bis zu seinem Besuch in der Anwaltskanzlei war. Er schlenderte durch die Theatinerstraße, überquerte den Odeonsplatz und machte es sich auf einer Bank im Hofgarten bequem. Eine weiche Brise umfächelte ihn. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und hing seinen Gedanken nach.
    Er war wieder zuhause. Aber wie ging es weiter?
    Wenn er bei diesem Anwalt ein paar Mark verdiente, es danach tatsächlich zu einer Wiedereinstellung bei der Kriminalpolizei käme, würde er sich als Erstes nach einer besseren Unterkunft umsehen müssen. Dass dies mittlerweile schwer geworden war, hatte er gleich nach seiner Ankunft festgestellt. Der Zuzug aus den ländlichen Gebieten hatte sich nicht gemindert, die Vorstädte platzten aus allen Nähten. Die Neuankömmlinge kamen mit nicht mehr an als dem, was sie auf ihrem Leib trugen, verdienten wenig, schoppten sich und ihre Familien in die winzigen Wohnungen, von denen es trotzdem viel zu wenig gab.
    In der ersten Nacht hatte er gerade noch eine zufällig frei gewordene Liegestatt im Ledigenheim im Westend ergattern können, die er aber bereits am nächsten Tag wieder verlassen musste. Schließlich hatte er doch noch eine heruntergekommene Pension über einer Gaststätte in der Maxvorstadt gefunden. Doch der Lärm aus einem Saal im Rückgebäude hatte ihn schon in der ersten Nacht nicht schlafen lassen. Der Wirt des Gasthofs »Frühwein«, darauf angesprochen, hatte säuerlich auf den niedrigen Zimmerpreis verwiesen, dann aber schulterzuckend eingelenkt: »Künstlerbagage halt. Wer kann sich seine Kundschaft schon aussuchen?«
    Aus der Altstadt wehten, leicht versetzt, die Töne mehrerer Kirchturmuhren. Kajetan stand auf, streckte sich und machte sich auf den Weg in die Gruftstraße.

8.
    Die Sekretärin der Kanzlei Dr. Leopold Herzberg lächelte entschuldigend. »Der Herr Doktor hat momentan furchtbar viel zum Tun.« Seufzend fügte sie hinzu: »Und er gönnt sich einfach viel zu wenig Ruhe.« Mit geübter Bewegung spannte sie Papier in die Schreibmaschine und begann emsig zu tippen. »Aber der Herr Doktor und auf mich hören …«
    Kajetan spielte mit der Hutkrempe auf seinem Schoß. »Ich hab Zeit«, sagte er.
    Verstohlen sah er nach der Uhr über ihrem Schreibtisch. Er wartete nun schon fast eine halbe Stunde.
    Ohne die Augen von der Tastatur zu nehmen, fuhr sie fort: »Momentan hats der Herr Doktor besonders gnädig, müssens wissen. Weil ers auch immer so genau nehmen muss. Aber leider wird’s ihm nicht immer gedankt.«
    Sie streifte Kajetan mit einem Seitenblick. »Dass er ein bisserl einen anderen Glauben hat als unsereins, macht Ihnen ja nichts aus, oder?«
    »Da komm ich jetzt nicht ganz mit. Was soll mir das ausmachen?«
    Sie lächelte wohlwollend. »Ich seh schon, dass ich Sie das gar nicht hätt fragen brauchen.« Sie tippte weiter. »Wissens, ich sags bloß immer gleich. Es gibt halt allweil wieder so merkwürdige Leut, die sich am liebsten auf der Stell umdrehen würden, wenn’s hören, dass der Herr Doktor mosaisch ist.« Sie zwinkerte verschmitzt. »Wenn er Ihnen dann aber geholfen hat, ist davon nichts mehr zu spüren.«
    Sie beendete ihre Schreibarbeit, überflog das Geschriebene und zog die Blätter aus der Maschine.
    Aus dem Telefonapparat vor ihr war ein leises Klicken zu vernehmen. Ihr Gesicht hellte sich auf. Sie stand mit einer raschen Bewegung auf und ging zur Tür eines Nebenraums. Auf ihr Klopfen forderte sie eine

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