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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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sich?«
    Kajetan nickte ihr flüchtig zu, zog den Rotter-Akt aus dem Regal und schlug ihn auf.
    Schon bei der ersten Durchsicht war ihm aufgefallen, dass das Dossier über Ludmilla Köller umfangreicher als das der meisten anderen Beteiligten war. Herzberg hatte sich auffallend gründlich mit Rotters Magd beschäftigt. Kajetan begann zu lesen.
    Nach der Verhaftung Rotters hatte Ludmilla Köller den Hof noch einige Monate allein weitergeführt. Der Bauer, damals noch fest mit seinem Freispruch rechnend, hatte sie darum gebeten. Dann aber hatte das Gericht auf »schuldig« erkannt. Das Schafott vor Augen, ließ sich Rotter einen teuren Landshuter Anwalt aufschwatzen. Diesem gelang es immerhin noch, das Todesurteil in »Lebenslänglich« umwandeln zu lassen. Damit schien er sich aber zufriedengegeben zu haben. Weil er nicht an den Erfolg eines Antrags auf Wiederaufnahme glaubte und ihn der Fall anzuöden begonnen hatte, versäumte er schon einmal, rechtzeitig einen Einspruch zu erheben. Niemals aber, gepfefferte Rechnungen zu stellen.
    Rotter hatte seinen Besitz verkaufen müssen. Die Unterschrift unter dem Kaufvertrag war noch nicht trocken gewesen, als der neue Besitzer Ludmilla aus dem Haus jagte.
    Schon nach kurzer Zeit musste ihr klar geworden sein, dass sie in der näheren Umgebung keine Anstellung mehr finden würde. Für einige Monate kam sie in Landshut als Kellnerin unter, wo sie von Wirt, Kollegen und Gästen gut aufgenommen und wegen ihrer Arbeitsamkeit geschätzt wurde. Dann aber erinnerte sich ein Schänkenbesucher daran, sie im Landgericht als Zeugin gesehen zu haben. In das Gemunkel mischten sich bald verdruckte Andeutungen, schließlich bösartige Verdächtigungen. Dienstherr und Kollegen gingen auf Distanz.
    Wieder packte sie ihren Koffer, wobei sie nun offenbar darauf achtete, dass ihre neue Bleibe in einer Entfernung lag, in der man sie nicht mehr mit den Geschehnissen in Riedenthal in Verbindung bringen würde.
    Für mehrere Jahre verdingte sie sich auf einem Hof im Ostallgäu. Der Bauer und seine Familie waren strenggläubig. Man bürdete ihr schwerste Arbeiten auf, knauserte mit dem Lohn. Trotzdem überzeugte sie schon bald mit Tatkraft und Umsicht, nahm ernsthaft an den täglichen religiösen Verrichtungen teil und fehlte bei keinem Kirchgang. Die Kinder des Hauses hingen mit abgöttischer Verehrung an ihr. Berichtet wurde, dass sie stets gepflegt und sittsam gekleidet auftrat, sie als Beispiel mustergültiger und frommer Rechtschaffenheit wahrgenommen wurde. Sah man auf den Fotografien der Ermittler noch eine verhärmte Stallmagd, so war sie nun zu einer Schönheit erblüht. Vom strengen Zopfkranz, zu dem ihr kräftiges, kastanienbraunes Haar geflochten war, stand keine Strähne ab.
    Der Kontrast zwischen reizvollem Äußeren und fast nonnenhafter Strenge musste die Phantasien einiger Dörfler entflammt haben, denn nicht nur einmal gab der Hofherr aufdringlichen Verehrern mit Griff zur Ochsenpeitsche zu verstehen, dass er jede Art unzüchtigen Ansinnens auf seinem Hof nicht duldete. Und – egal, ob Dorf-Casanova oder redlicher Interessent – auch sie erstickte alle Avancen mit einem einzigen, scharf tadelnden Blick bereits im Keim, worauf die so siegesgewiss Angetretenen wie begossene Pudel davonschlichen. Hoch angerechnet wurde ihr von allen dazu Befragten, dass sie nach dem tragischen Unfall des Bauern der verzweifelten Witwe selbstlos beistand. Weshalb niemand so recht verstehen konnte, dass diese sie ziehen ließ, nachdem ein halbes Jahr später ein neuer Bauer das Regiment übernommen hatte …
    Jedenfalls gab Ludmilla kurz danach dem Werben eines Pensionärs namens Egidius Kummerer nach, der in der Gegend öfters seine Sommerfrische zugebracht hatte. Sie folgte dem Witwer in dessen Stockdorfer Villa, in der sie – als Haushälterin seine einsamen Tage mit Wärme und weiblicher Fürsorge schmücken sollte, wie er es einmal schwärmerisch ausgedrückt haben musste.
    »Kuponschneider, sehr begütert, vergöttert die K.« , hatte Herzberg an der Seite handschriftlich vermerkt.
    Kajetan notierte die Adresse, ließ sich von Agnes den nächsten Zug in Richtung Starnberg aus dem Fahrplan heraussuchen und verließ die Kanzlei. Am Marienplatz hechtete er der gerade abfahrenden Tram nach, fuhr auf dem Trittbrett zur nächsten Station, wo er sich in den überfüllten Waggon quetschte. Am Starnberger Bahnhof löste er ein Billett. Der Zug nach Garmisch wartete bereits auf dem Gleis.
    In Stockdorf

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