Am Ende eines Sommers - Roman
Ich will keinen Streit, das steht fest. Ich will nur meine Cornflakes essen und Thundercats sehen. Cheetarah läuft mehr als hundert Meilen pro Stunde, ohne ins Schwitzen zu geraten. Wenn sie nicht halb Katze wäre, wäre sie eine perfekte Frau.
Mum grabscht nach der Post, die ich vorhin auf den kleinen Tisch gelegt habe, sie reißt die braunen Umschläge auf und guckt hinein, ohne die Briefe herauszunehmen. Sie stopft alles hinter die Kaminuhr, bleibt einen Moment stehen und malt mit dem Finger im Staub.
»Und wo bleibt mein Kuss?« Sie spitzt die runzligen, alten Lippen. Auf der einen Gesichtshälfte hat sie Falten vom Kissen; dadurch ist die Augenbraue nach oben gezogen, was verrückt aussieht.
»Weiß nicht«, sage ich und starre angestrengt in die Glotze.
»Selbstsüchtiger kleiner Mistkerl«, murmelt sie und wankt hinaus. Ich bleibe allein in Dads Ledersessel zurück.
Für diese Zweiergarnitur haben sie gespart, sehr fleißig, jahrelang. Sie stammt von Morants, und wir waren total aus dem Häuschen, als der große Morants-Möbelwagen kam. Alle stürzten sich darauf, um sich hinzusetzen, aber als Dad im Sessel saß und Mum mit Matthew und Andy auf dem Sofa hockten, war für mich kein Platz mehr. Ich war geknickt – mehr, als ich es hätte sein sollen. Dad konnte sowieso nur noch ein paar Monate in diesem Sessel sitzen, bevor er dann ausgezogen ist.
Jetzt sitze ich im Sessel und esse meine Cornflakes, als Mum den Kopf wieder ins Zimmer steckt und einfach loslegt. Wütend.
»Und wer, glaubst du, läuft hier herum und räumt deinen Zucker weg und wischt die Milchkringel auf? Vielleicht die verdammte Küchenfee? Ich bin hier nichts Besseres als eine Sklavin. Das glaubt ihr alle!« Ihre Stimme klingt vornehm. Je wütender sie ist, desto vornehmer wird immer ihr Tonfall.
Sie steht in der Tür und hält sich am Rahmen fest. Ihr strähniges, mausbraunes Haar hängt um ihr Gesicht mit den Bernhardiner-Falten, und sie schreit einfach. Wahrscheinlich könnte ich mich einfach hinausschleichen, und sie würde es gar nicht merken. Aber langsam werde ich selber wütend, obwohl ich genau das nicht will. Meine Cornflakes sind aufgeweicht wegen der dauernden Unterbrechungen, und den größten Teil von Thundercats habe ich verpasst.
»Mum. Darf ich das eben zu Ende gucken? Ich komme gleich und räume die Küche auf. Wenn Thundercats vorbei ist.« Ich zähle stumm bis zehn. »Dann helfe ich dir auch das Frühstücksgeschirr abwaschen, wenn du willst, ja?«
Aber sie steht direkt vor mir und versperrt mir den Blick auf die Glotze, und sie fängt an, sich über mich lustig zu machen, und sagt mit einer Winselstimme, die überhaupt nicht klingt wie meine: »Muuum. Darf ich nicht eben Thuuunder-caaaats gucken? Muuum? Muuuuuummm!«
Ich kann mich nicht mehr bremsen.
»Ach, verpiss dich doch, Mum! Verpiss dich! Du hast sie nicht alle. Kein Wunder, dass Dad es nicht mehr ausgehalten hat, du durchgeknallte Kuh!«
Sie taumelt rückwärts, als hätte ich ihr einen Schlag in die Magengrube verpasst. Sie schlingt die dürren Arme um sich und zieht ihre Oma-Strickjacke zusammen. Ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie gleich anfangen wird zu weinen.
»Jakey – Jakey? Alles, was ich je getan habe, habe ich für dich getan. Für dich und die beiden andern. Meine kleinen Lieblinge.« Sie zupft die losen Wollkügelchen von ihrer Strickjacke und sieht mich dann traurig an. »Wie konntest du nur?«
Diese Taktik kenne ich. Also werde ich ihr verzeihen, als ob überhaupt nichts passiert wäre. Aber es ist passiert, es passiert jeden Tag. Ich versuche, wieder ruhig zu werden.
»Mum, es tut mir leid, dass ich dich angeschrien hab. Aber es ist einfach – na ja, du hast dauernd was auszusetzen an mir. Als ob ich immer nur böse wäre.«
Ihr Gesicht wird gleichmütig, und ich glaube, es hat geklappt, aber dann spuckt sie die nächsten Worte aus. »Nein, böse bist du wohl nicht, nehme ich an – für einen verdammten Judas!« Ich sehe ein scharfes Licht in ihren stumpfen Augen aufblitzen.
»Was meinst du damit? Was heißt Judas?« Ich weiß, was sie damit meint, ich weiß, wer Judas war, und ich bin jetzt wirklich wütend. »Warum, glaubst du, bin ich hier und nicht in Sandys schönem Haus, wo ich jeden Morgen ein leckeres Frühstück gebraten kriege? Weil ich dachte, du regst dich dann auf! Na, anscheinend regst du dich sowieso auf. Also hätte ich genauso gut rübergehen können! Ganz egal, was ich mache – es ist immer verkehrt,
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