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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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rissigen Lippen und zwinkerte ihr dann zu.
    »Fick dich!« Ness gab sich keinerlei Mühe, die Stimme gesenkt zu halten. Sie wollte sich von ihm abwenden, aber siewagte nicht, ihm den Rücken zuzukehren. Nein, sie musste ihn im Auge behalten, und genau das tat sie. Wenn er auch nur eine falsche Bewegung machte, würde sie bereit sein.
    Doch nichts weiter geschah. Der alte Mann betrachtete ihre Brüste noch einmal eingehend, sagte dann: »Du meine Güte«, und schlug eine Boulevardzeitung auf. Er hielt sie so, dass das tägliche Pin-up-Girl auf Seite drei gut sichtbar war. Geiler alter Bock, dachte Ness. Als der Bus die Haltestelle am Queensway erreichte, stieg sie aus.
    Sie musste nicht weit gehen, aber sie erregte Aufmerksamkeit auf dem kurzen Weg. Am Queensway wimmelte es nur so von Einkaufsbummlern, aber Ness bot einen Anblick, der auffiel. Ihre Kleidung - knapp und eng - zog Blicke auf sich. Ihr hochmütiger Ausdruck und selbstsicherer Schritt erweckten den Eindruck einer Frau, die auf Verführung aus war. Diese Kombination verlieh ihr eine so gefährliche Ausstrahlung, dass niemand wagte, sie anzusprechen, und das war genau, was sie wollte. Wenn überhaupt, wollte sie diejenige sein, die jemanden ansprach.
    Als sie an einer Drogerie vorbeikam, schlüpfte sie hinein. Das Geschäft war ebenso überfüllt wie die Straße draußen. Die Kosmetika waren so weit wie möglich von der Tür entfernt, doch diese Herausforderung war Ness nur willkommen. Geradewegs hielt sie auf das Regal mit den Lippenstiften zu und begutachtete die Farbtöne. Sie wählte ein tiefes Burgunderrot, und ohne sich auch nur die Mühe zu machen, über die Schulter zu sehen und festzustellen, ob sie beobachtet wurde, ließ sie den Lippenstift in die Handtasche gleiten, während sie mit der anderen Hand gleichzeitig nach einem weiteren griff. Mit wild hämmerndem Herzen verbrachte sie noch ein paar Minuten in dem Laden, ehe sie ihn wieder verließ. Dann marschierte sie verrichteter Dinge in Richtung Whiteley's.
    Einen Lippenstift zu klauen, war an einem Tag wie diesem eigentlich ein Kinderspiel. Die ganze Welt war beim Einkaufsbummel, allein die schieren Massen boten die perfekte Deckung. Eigentlich hätte Ness kein besonderes Triumphgefühlempfinden dürfen. Aber das tat sie. Ihr war danach, laut zu singen. Ihr war danach, mit den Füßen aufzustampfen und in Siegesgeheul auszubrechen. Kurzum, sie fühlte sich völlig anders als in dem Moment, da sie den Laden betreten hatte. Die Euphorie, die sie durchströmte, schien ihren Körper und Geist zu packen, als hätte sie eine Droge genommen, statt nur das Gesetz zu brechen. Endlich fühlte sie sich von dem Druck befreit, der sie angefüllt hatte.
    Sie stolzierte. Sie kicherte. Sie lachte laut. Sie würde es wieder tun, entschied sie. Sie wollte zu Whiteley's, wo die Beute noch vielversprechender war. Ihr blieben etliche Stunden, ehe Joel und Toby wieder an der Paddington Station eintreffen würden.
    Dann, beim Überqueren der Straße, entdeckte sie Six und Natasha. Arm in Arm gingen sie den Bürgersteig entlang, die Köpfe zusammengesteckt. Sie torkelten ein wenig, was darauf hindeutete, dass sie entweder betrunken oder stoned waren.
    Beflügelt von ihrem erfolgreichen Abenteuer, beschloss Ness, der Zeitpunkt sei gekommen, das Kriegsbeil zwischen ihnen zu begraben. Gut gelaunt rief sie zu ihnen herüber: »Six! Tash! Was geht?«
    Die beiden Mädchen hielten inne. Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich von erwartungsvoll zu argwöhnisch, als sie erkannten, wer sie gerufen hatte. Sie tauschten einen Blick, aber sie blieben stehen, als Ness näher trat.
    Six nickte Ness zu. »Hab dich länger nicht hier in der Gegend gesehen.«
    Ness wertete dies als Friedensangebot. Sie machte sich auf die Suche nach ihren Zigaretten. Als ihr klar wurde, dass sie ihrer Tante nicht genügend Benson & Hedges geklaut hatte, um den beiden auch eine anzubieten, wie es der Anstand erfordert hätte, besann sie sich eines Besseren und fischte stattdessen ihren soeben stibitzten Lippenstift aus der Tasche. Sie holte ihn aus der Verpackung und drehte das untere Ende, bis der Farbzylinder vollständig ausgefahren war, was fast ein wenig obszön aussah. Sie spielte damit, fuhr ihn ein und wieder aus,ein und wieder aus, grinste ihre ehemaligen Freundinnen an und wandte sich zum nächsten Schaufenster, um es als Spiegel zu benutzen. Sie trug den Lippenstift auf und inspizierte das Ergebnis. »Oh, Scheiße«, sagte sie. »Sieht aus, als

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