Am Ende war die Tat
Schizophrenie oder Depression gaben. Aber im Moment gehe es um den Zustand ihrer Psyche, ihrer Seele, und da die Patientin unwillig sei, über den Missbrauch zu reden, und natürlich zu alt für therapeutische Spiele mit anatomischen Puppen ... »Hippotherapie«, lautete Rumas Schlussfolgerung. »Da gibt es ganz erstaunliche Erfolge.«
»Hippo?« Fabias erster Gedanke galt den riesigen, pummeligen afrikanischen Tieren mit den großen Mäulern und den winzigen, schlackernden Öhrchen.
»Pferde«, stellte Ruma richtig. »Psychische Behandlung mit Hilfe von Pferden.« Der Ausdruck der Sozialarbeiterin verriet Skepsis, sodass Ruma anhob zu erklären, es sei eine Form taktiler Therapie, bei der die Interaktion zwischen Mensch und Pferd nicht nur als Metapher für Themen diente, die zu schmerzhaft für den Patienten waren, um darüber zu sprechen, sondern auch als Beschleuniger für den Heilungsprozess. »Es geht um Themenbereiche wie Kontrolle, Macht und Angst«, sagte Ruma. »Ich weiß, es klingt verrückt, Fabia, aber wir müssen es versu- chen. Wenn wir nicht bald irgendeine Art von Durchbruch bei Ness erreichen ...« Sie brach ab, und Fabia beendete den Satz in Gedanken: Es würde alles noch schlimmer werden.
»Können wir irgendwoher Mittel dafür bekommen?«, fragte Ruma.
Fabia seufzte. »Ich habe keine Ahnung.« Es klang so weit hergeholt. Dieses Mädchen bewegte sich in einem System, das die Grenzen seiner Belastbarkeit längst erreicht hatte, und war nur eines von vielen! Es mochte irgendwo Sondermittel für eine solche Therapie geben, aber es würde Ewigkeiten dauern, sie aufzutun. Fabia war dennoch gewillt, sich auf die Suche zu begeben. Aber in der Zwischenzeit würden Ness' Wunden schwären.
Sie suchte Majidah auf, wild entschlossen, für Vanessa Campbell keine Möglichkeit auszulassen. Majidah, Ruma, Fabia, Kendra ... Die Frauen in Ness' Leben mussten eine Front bilden, um Ness eine Botschaft von Anteilnahme, Liebe und Unterstützung zu vermitteln.
»Ach, dass solche Dinge passieren müssen«, lautete Majidahs leiser Kommentar zu der Geschichte, die Fabia ihr erzählte. Sie berichtete Fabia, was sie selbst aus Ness' Andeutungen über die Vergangenheit des Mädchens erfahren hatte.
»Mit zehn Jahren?«, wiederholte Fabia entsetzt.
»Es lässt einen an Gottes Plan zweifeln.«
Fabia glaubte an keinen Gott. Sie war schon vor langer Zeit zu dem Schluss gekommen, dass die Menschheit ein Zufallsprodukt war, das Ergebnis einer atomaren Kollision in einem uralten Universum. Ohne Plan, ohne Absicht und ohne die geringste Chance auf ein positives Ende, wenn man keine enormen Anstrengungen unternahm, es herbeizuführen. »Wir versuchen, ihr einen Platz in einer speziellen Therapie zu beschaffen«, erklärte sie. »Sollte sie bis dahin beschließen, mit Ihnen über das zu sprechen, was passiert ist ... Ich hielt es für das Beste, Sie ins Bild zu setzen.«
»Und darüber bin ich sehr froh«, versicherte Majidah. »Ich werde ebenfalls versuchen, mit dem Mädchen zu sprechen.«
»Es ist unwahrscheinlich, dass sie bereit ist, darüber zu sprechen ...«
»Ach, du lieber Himmel, davon werde ich doch nicht anfangen«, sagte Majidah. »Aber wie Sie sicher wissen, gibt es viele Dinge außer der Vergangenheit, über die man reden muss.«
Das war der Kurs, den Majidah einschlug. Schreckliche Erlebnisse konnten eine schwere Prüfung für die Seele sein, aber wenn es einem an Duldsamkeit und Vergebungswillen mangelte, vergiftete das den Geist. Sie hatte einen Plan. In der Kindertagesstätte verteilte sie alte Zeitschriften, Pappen, Klebstoff und Kinderscheren. Die Kinder sollten Collagen basteln, und Majidah bestand darauf, dass Ness mitmachte. Sie sollten Bilder machen, die ihre Familien und ihre Umwelt darstellten, erklärte sie.
»Warum soll ich da mitmachen?«, fragte Ness verdrossen. »Dann kann ich ihnen doch gar nich' helfen.«
»Du wirst ihnen ein Beispiel geben«, erwiderte Majidah ruhig.
»Aber ich will nich' ...«
»Vanessa, ich kann darin kein Problem erkennen. Wenn du das anders siehst, müssen wir unter vier Augen darüber sprechen.«
Eine Unterredung unter vier Augen war Ness durchaus recht. Es war auf alle Fälle besser, als an einem Tisch zu hocken, der ihr nicht einmal bis zu den Knien reichte, eingeklemmt zwischen Vierjährigen, die wild mit Scheren herumfuchtelten, egal wie stumpf sie auch sein mochten. Sie folgte Majidah also in einen ruhigen Winkel des Raums, wo eine Reihe Fenster auf den
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