Am Fuß des träumenden Berges
Stadt für sie kein Ausweg war.
Sie musste sich um die Teeplantage kümmern, obwohl sie sich damit überhaupt nicht auskannte. Sie war wütend auf Matthew, der sie damit allein ließ, aber genauso war sie auf sich selbst wütend. Seit vier Jahren lebte sie nun auf The Brashy, aber ihr anfängliches Interesse war bald erloschen, und sie hatte die Plantage und alle damit verbundenen Aufgaben Mr. Randolph und Matthew überlassen.
Wer hätte denn ahnen können, dass ein Krieg kommen würde?
«Ich hab ein Mädchen», sagte Kinyua plötzlich. Er drehte sich halb zu ihr um. «Ein gutes Mädchen, du wirst sie mögen. Sie arbeitet auf der Plantage. Ich glaube, sie kann dir viel über Tee erzählen.»
Manchmal war das so, wenn sie mit Kinyua beisammensaß. Sie hatte einen Gedanken, und ohne ihn laut auszusprechen, wusste er die Antwort auf ihre Probleme und Sorgen.
«Schick sie zu mir», sagte sie dankbar. «Ich kann jede Hilfe brauchen.»
Kinyua stand auf. «Betest du, Memsahib?», fragte er.
Die Frage verwunderte sie. Wenn sie ehrlich war, hatte sie bisher nicht darüber nachgedacht. Betete sie? Manchmal, ja. Aber weniger, weil sie das Bedürfnis danach hatte, sondern weil sie im Gottesdienst saß oder mit Chris das Nachtgebet sprach. Nie, weil sie es wirklich so meinte.
Sie, die Tochter eines Pastors, hatte das Beten verlernt.
«Zu selten», antwortete sie.
«Es wird Zeit, dass du es wieder tust.»
Mit den Worten ging er. Sie schaute ihm lange nach, selbst dann noch, als er längst verschwunden war.
Lieber Gott, lass uns das bitte heil überstehen.
Komisch. Das Beten war gar nicht so schwer, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Die letzte gemeinsame Nacht verbrachten sie wach im Bett, jeder auf der Seite liegend, einander zugewandt. Sie redeten und schwiegen, und manchmal fielen Audrey die Augen zu, weil sie von dem Tag und von den schlaflosen Nächten mit dem Säugling so ausgelaugt war. Doch in dieser Nacht schlief Thomas durch, so als spürte er, dass seine Eltern diese letzte Zeit für sich brauchten.
Audrey erzählte Matthew, was in Nairobi los war.
«Die Menschen dort sind verrückt.» Er schüttelte missbilligend den Kopf. «Du musst mir versprechen, dass du nicht in die Stadt gehst, hörst du? Der Tee muss von den Sträuchern, er muss fermentiert, getrocknet und verpackt werden. Wir können es uns nicht leisten, auf nur eine Ernte zu verzichten.»
«Steht es so schlimm um uns?», fragte sie besorgt.
Er hob die Hand und streichelte die Sorgenfalten von ihrer Stirn. «Nicht doch», beruhigte er sie. «Die Preise werden sogar steigen. Aber wenn wir Pech haben, werden wir lange nichts nach Europa verschiffen können. Dann sind wir auf den hiesigen Markt beschränkt.»
Der nur einen Bruchteil ihres Umsatzes ausmachte, das wusste Audrey.
«Kinyua kennt ein Mädchen, das auf der Plantage arbeitet. Er sagt, sie kenne sich gut mit Tee aus.»
«Dann lass nach ihr schicken. Vielleicht kann sie dir etwas beibringen.»
Sie schloss die Augen und döste ein. Plötzlich schrak sie hoch. «Die Kinder.»
«Den Kindern wird es gut ergehen, wo du auch mit ihnen sein wirst. Mach dir darum keine Sorgen. Ich habe Vertrauen in dich.»
Er streichelte ihre Schulter.
«Aber eins musst du mir versprechen, Audrey. Wenn sie kommen und versuchen, dich in die Stadt zu holen … geh nicht! Bleib auf der Farm, hörst du? Sie werden dir keine Gewalt antun, wenn du dich weigerst. Zumindest hoffe ich das», fügte er hinzu.
«Warum sollten sie das tun?» Audrey setzte sich alarmiert auf. Matthew wirkte seltsam ernst.
«Du weißt, wir haben …» Er seufzte. «Benjamin von Hardeberg.»
«Ja.» Sie nickte.
Die Stimmung war schon vor dem Kriegsausbruch nicht besonders deutschenfreundlich gewesen, und in den letzten Wochen hatte sie sich noch verschärft. Die Zeitungen waren voll mit Hetzschriften gegen Lettow-Vorbeck im Süden, gegen die Deutschen in Europa und deren Kriegstreiberei.
«Er ist Offizier. Und ich war mit ihm auf Safari.»
«Aber du hast gesagt, dort sei nichts passiert, was irgendwie Anlass zur Sorge geben könnte?»
«Leider habe ich keinen Zeugen dafür außer unsere Lastenträger, und die wird niemand als Leumundszeugen durchgehen lassen. Dein Benjamin ist ein feiner Kerl, aber leider ist er Deutscher.» Matthew seufzte. «Ich fürchte, ich habe einen Fehler gemacht, als ich ihn auf die Safari einlud.»
«Den Fehler habe wohl eher ich gemacht, als ich mich auf ihn eingelassen habe.»
«Denkst du
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