Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Mühe, die anderen einzuholen, die in einer Reihe der Wärterin zurück zur Messe folgten. Sie stiegen vier kurze Treppenabschnitte hinunter, durch zwei Unterdecks und vorbei an dunklen muffigen Nischen zwischen den Decks. Ihr Ziel war eine Klappe im Boden des unteren Passagierdecks, aus dem das Ende einer Leiter herausschaute.
Noch bevor sie den Stiefel auf die oberste Sprosse gestellt hatte, roch Rhia schon die abgestandene Luft. Auf einem Passagierschiff war das unterste Deck für die Reisenden mit den billigsten Fahrkarten reserviert, weil es auch für Vieh, Gepäck und Vorräte benutzt wurde. Auf einem Handelsschiff wie der Rajah handelte es sich um den Teil des Schiffes, in dem normalerweise die Fracht gelagert wurde. Und dieses Mal bestand die Fracht aus Menschen.
Sie stieg in die dunkle stickige Welt hinunter und wurde sich dabei ihres Glücks mit der Kammer immer bewusster. Noch ein Grund, dankbar zu sein. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das schummrige Innere des Schiffsbauchs. Schließlich konnte sie erkennen, dass eine Seite mit Segeltuch in kleine Abteile unterteilt war. Sie konnte zu zwei weiteren Messen hindurchsehen. Von ihrer Position aus konnte sie in der ersten Messe nun zwei Reihen von je sechs Hängematten ausmachen, die von den dicken Eichenbalken herabhingen, die das Deck darüber stützten. Ein langer Tisch mit Bänken auf beiden Seiten war dazwischen fest montiert.
Einige der Hängematten sahen aus wie große braune Kokons, aus denen ab und an ein Stöhnen erklang. Der scharfe Geruch nach Krankheit war in diesem sauerstoffarmen, beengten Raum schier überwältigend. Auf dem Tisch befanden sich Zinnschalen, ein gusseiserner Topf und eine Platte mit harten, trockenen Keksen. Der abgestandene Geruch und der Anblick von Essen hatten keinen guten Einfluss auf das fragile Gleichgewicht zwischen Rhias Bauch und dem des Schiffes.
Die meisten Frauen, die am Gebet teilgenommen hatten, gingen durch die erste Messe und die Vorhangwand hindurch in eine der identischen Kammern, die sich entlang des Decks zogen. Ein paar blieben da und setzten sich an den Tisch. Rhia wusste nicht, was sie tun sollte, deshalb trat sie einen Schritt von der Leiter weg und lehnte sich an ein schmales Stück bloße Holzwand, um abzuwarten, was als Nächstes passieren würde.
»Sie können genauso gut in dieser Messe bleiben, Mahoney«, erklärte die Aufseherin gereizt, als sie Rhia bemerkte. Die Frau war dünn, hatte eine Hakennase und genoss es, das Sagen zu haben. Rhia erkannte unter dem halben Dutzend Frauen, die nun um den Tisch herum saßen, Nell, Agnes und Jane. Sie setzte sich neben Jane, die groß und hager war und ein wenig gebeugt ging. Jane war gewöhnlich bedrückt und still, konnte jedoch, wenn man sie provozierte, beeindruckende Tobsuchtsanfälle bekommen.
»Mahoney«, bellte Hakennase, die ihre sehnigen Arme vor der Brust verschränkt hatte, »setzen Sie sich an den Tisch. Sie werden Ihre Mahlzeiten hier in der ersten Messe einnehmen, und Sie werden heute Morgen alle Instruktionen von Ihrer Messaufseherin bekommen.« Wenigstens musste Rhia sich nicht weiter in den Bauch des Schiffes hineinwagen. Es war hier vorne schon schlimm genug, sogar mit der offenen Luke.
Niemand am Tisch sprach mit ihr, was vermutlich an Agnes lag. Agnes war die einzige Gefangene, die dunklere Haut als Rhia hatte. Sie betete, dass Nora nicht in einem der braunen Kokons lag.
Rhias Magen protestierte beim Anblick der klebrigen Grütze. Sie schob einige der harten Kekse in ihre Schürzentasche. Anschließend sammelten zwei Frauen die Zinnnäpfe auf einem Stapel und halfen sich gegenseitig dabei, damit nach oben an Deck zu klettern. Die anderen holten ihre Nähtaschen heraus. Hakennase zündete eine Laterne an, welche die dämmrigen Ecken der Messe erleuchtete, wodurch diese aber kaum weniger düster wirkten. Rhia hatte den Geruch von Lampenöl und Docht nie sonderlich gemocht, aber nun sog sie ihn ein, als handle es sich um Teerosenduft.
Vorsichtig sah sie sich um. Die Kammern waren sauber, mit einem Haken neben jeder Hängematte und einem niedrigen Regal, auf das man seine gefalteten Habseligkeiten legen konnte. Sie suchte die Hängematten nach einem Hinweis auf die Bewohnerinnen ab und glaubte eine Strähne roten Haares aus einer herausstehen zu sehen. Es könnte sich um Margaret handeln.
Die Frauen unterhielten sich miteinander, wie man es tut, wenn man jede wache Stunde miteinander verbringt. Rhia hörte schweigend zu. Wie
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