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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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mochte Michaels Horizont erweitert und die harte Arbeit als Seemann seinen Körper und seine Nerven gestählt haben, doch das war nichts im Vergleich dazu, wie die Deportation seine Sinne geschärft und seine Muskeln gekräftigt hatte. Er war jetzt über fünfzig, aber körperlich leistungsfähiger denn je. Seine Haut war braun wie Leder, und bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er einmal einen Blick auf sein Spiegelbild erhaschte, erschrak er immer ein wenig über die Falten, die sich in seine Stirn gegraben hatten. Inzwischen hatte er aufgehört, die grauen Haare zu zählen, die seinen dünner werdenden, mahagonibraunen Schopf durchzogen.
    In den sandigen, dämmrigen Straßen spielten Kinder mit Kieseln und Muschelschalen und bauten Burgen aus Treibholz. Den düsteren Prophezeiungen zum Trotz, was die Nachkommen von Verbrechern, die in einer Strafkolonie geboren wurden, betraf, waren diese Kinder viel weniger gesetzlos als die in den Slums von Dublin und London. Michael nahm an, dass es daran lag, weil ihr Spielplatz vom indigofarbenen Meer bis zum silbergrünen Buschwald reichte, wo sie kleinen Beuteltieren und schillernden Papageien hinterherlaufen und eine beeindruckende Auswahl an Insekten jagen konnten, die zu groß für ein Marmeladenglas waren.
    Der westliche Rand Sydneys war von einer Salzwasser-Lagune umgeben. Diese bildete die natürliche Grenze zwischen dem Land, das zum Stadtgebiet erklärt worden war, und dem Gebiet, das immer noch von den Eingeborenen als Jagdgrund genutzt wurde. Nur Kinder wagten sich auf die andere Seite der Lagune und fingen zusammen Schildkröten mit den Eingeborenen, die großartige Jäger waren.
    Gelegentlich erklärte sich Jarrah bereit, die Polizei als Fährtensucher zu unterstützen, obwohl entkommene Gefangene wesentlich öfter tot als lebendig gefunden wurden. Sein Stamm der Eora hatte die Jagdgründe entlang der Küste bewohnt, bis Guv Philip es für angebracht hielt, den Grund für seine Kolonie zu beanspruchen. Michael war mit seinem Mitgefühl für die ursprüngliche Bevölkerung nicht allein. In Sydney gab es viele Iren, die wussten, was es bedeutete, von einem Engländer vom eigenen Grund und Boden vertrieben zu werden. Michael hatte großen Respekt vor den Eingeborenen. Jarrah konnte selbst nach einem Sandsturm, einer Sintflut oder einem Buschfeuer noch eine Spur finden. Aber wenn er selbst nicht von den Weißen belästigt werden wollte, wurde er einfach unsichtbar.
    Die Gefangenen, die den großen Rinderfarmen zugeteilt worden waren und das nur schwer pflügbare Land bearbeiteten, erzählten Geschichten von alten Männern, die länger als eine Stunde reglos und nackt wie eine Statue auf einem Bein mit erhobenem Speer darauf warteten, bis ein Tier aus seinem Loch kam. Kopfschüttelnd berichteten sie von jungen Jägern, ja von Kindern, die lautlos wie ihr eigener Schatten auf der Jagd nach einem Opossum oder irgendeinem Reptil durch das trockene Unterholz krochen. Michael war nicht in dieses Land gekommen, um es für sich zu beanspruchen. Daher war für ihn offensichtlich, dass diese Ureinwohner die rote Erde ehrten und in einer Weise mit ihr verbunden waren, wie es Christen niemals sein würden.
    Dan, der Wollhändler, der seine Strafe abgebüßt und beschlossen hatte zu bleiben, stand auf dem Gehweg vor seinem Laden. »Was für ein schöner Abend, Mister Kelly.«
    »Stimmt, Dan. Und, wie läuft das Geschäft?«
    »Kann nicht klagen. Aber wenn, würd ich sagen, es ist nicht das beste Wetter für Wolle.«
    »Aye. Schon am Verschiffen?«
    »Ende des Monats schicken wir unsere erste Ladung Selbstgesponnenes nach Bristol. Gibt jetzt ’nen Garnfärber bei den Baracken.«
    »Mal an Dublin gedacht?«
    »Kann ich nicht behaupten, Mister Kelly, warum?«
    »Nun, es gibt bestimmt viele Händler in Dublin, die gerne Garn oder Tuch kaufen würden, ohne ihr Silber an die Krone zu zahlen.«
    »Verstehe. Werd drüber nachdenken.«
    »Tun Sie das, Dan. Und Grüße an Ihre Frau.«
    Der Wollhändler tippte an seine Kappe und verriegelte den Rest seiner Fensterläden. Michael ging weiter in Richtung Harp and Shamrock, einer Kneipe.
    Der heiße, trockene Atem des Tages hielt an, und Michael war durstig. Die Jahreszeiten hier waren genau umgekehrt, so dass man im November bereits die Gluthitze des Sommers erahnte. Die George Street war neu und sauber, der Sandstein, den sie aus den nahe gelegenen Klippen gebrochen hatten, noch blass und unverwittert. Hier gab es alle

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