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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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eine nach der anderen, viele Meilen lang. Rhia merkte, wie ihr Magen einen Purzelbaum schlug, und daran war nicht die Taubenpastete schuld. Wie wohl das Haus eines Quäkers aussah? Würde die Einrichtung streng und unbequem sein? Jedenfalls würde es dort sicherlich keine der modernen Annehmlichkeiten wie fließend Wasser und Gaslicht geben. Sie erwartete, dass Antonia Blake weder mit ihrer Vorliebe für schöne Kleider noch mit ihrer Abneigung gegen Messbesuche einverstanden sein würde.
    Die Industrie hinterließ schmutzige Male am Himmel, die Rhia an fleckiges Leinen erinnerten und daran, wie sehr sich ihr Leben bereits verändert hatte. Als sie sich dem Herzen der Stadt näherten, wurde der ölige Geruch des Dunstes immer schlimmer, und sie fragte sich, wie man sich in einer solchen Umgebung jemals gesund fühlen konnte. Mamos Wispern schien in ihren Ohren nachzuklingen. Sie musste etwas finden, für das sie dankbar sein konnte, und zwar schnell.
    Der Zug fuhr immer langsamer, und der Himmel verschwand völlig. Über dem überfüllten Bahnsteig stand auf einem großen, stolzen Schild geschrieben: London Euston .

10
    S CHOTTENKARO
    Rhia trat in das Gewimmel auf dem Bahnsteig und wurde von einem Diener in Livree zur Seite gestoßen. Der Mann war mit Hutschachteln und Paketen beladen. So ängstlich war er bemüht, mit einer Dame im wehenden Pelzmantel Schritt zu halten, dass er nicht einmal kurz stehen blieb. Als Nächstes bemerkte Rhia eine Hand an ihrem Ellbogen. Sie wandte sich abwehrend um und blickte jedoch in Ryans lächelndes Gesicht. Er hatte sich ihr genähert, ohne dass sie es bemerkt hatte. Sie war so erleichtert, ihn zu sehen, dass sie ihm um den Hals fiel und ihn damit zum Lachen brachte.
    »Liebste Rhia, willkommen in London!« Mit einer großen Geste schloss er den sich entfernenden Diener und das allgemeine Chaos ein. »Ich versichere dir, dass nicht die ganze Stadt so abscheulich ist und auch nicht so hässlich wie ihre nördlichen Vororte.« Er führte sie geschickt über den Bahnsteig, wobei er Straßenkindern und Passagieren mit einer Gewandtheit auswich, die unter diesen Umständen unmöglich schien.
    »Es ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte …«, war alles, was Rhia herausbrachte. Sie hatte nicht einmal Zeit, Ryan genauer anzusehen, bis sie die relative Ruhe der Eingangshalle erreicht hatten. Dann fand sie ihn auffallend abgemagert, aber er entsprach immer noch dem Bild eines erfolgreichen Junggesellen. Er trug hohe polierte Stiefel, eine senfgelbe Krawatte und einen flotten Gehrock. Abgesehen von seiner modischen Kleidung und der Tatsache, dass er seine rotbraunen Haare geölt hatte, sah Ryan Mahoney seinem Bruder sehr ähnlich, mit seinem blassen Gesicht voller Sommersprossen und der drahtigen Figur. Sein Wesen aber war leidenschaftlich und leichtsinnig und damit eher das Gegenteil ihres Vaters.
    »Wir werden diesen gottlosen Tumult hinter uns lassen, sobald dein Gepäck im Büro des Schaffners angekommen ist«, versicherte Ryan ihr. »Mein Wagen wartet draußen.« Sie nickte, und ihr Blick wurde nach oben gezogen zu all der Pracht, die sich über ihnen wölbte. Dafür also waren Felder zu Schlackehaufen und flachem Land geworden. Sollte sie mehr Ehrfurcht vor den Leistungen der Menschen oder vor den Kräften der Natur haben? Plötzlich fühlte sie sich klein und irgendwie überwältigt. Sie musste sich dringend das Salz aus den Haaren und den Ruß von der Haut waschen. Außerdem wollte sie sich ohne ihr knarrendes Korsett bewegen und irgendwo reglos schlafen. Dann würde alles in Ordnung sein. Sie hatte seit Tagen kaum geschlafen.
    »Nicht jeder Bahnhof ist so groß wie Euston«, erklärte Ryan, der sie beobachtet hatte. »Er ist der ganze Stolz der Londoner und der North-Western Eisenbahn-Gesellschaft, und es wurde an nichts gespart.« Vielleicht dachte er ja, die ganze Industrie hätte sie so sprachlos gemacht? Er lachte. »Wenn du das hier überfüllt findest, dann solltest du den Bahnsteig erst mal im August sehen, bevor in Schottland die Jagdsaison beginnt. Ich wundere mich immer, dass das Wild den Lärm nicht schon von weitem hört und sich auf und davon macht!«
    Rhia fühlte sich selbst ein wenig wie gejagtes Wild. Nach einer scheinbar endlosen Wartezeit konnte ihr Koffer endlich ausfindig gemacht werden, und sie stürzten sich in das Gewühl der Straße. Es war chaotisch. Kutschen, Omnibusse und Fuhrwerke verstopften die Durchfahrt, und der Gehweg war von allen nur

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