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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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um Stoff und Kleider drehte. Rhia hatte bis dahin eine anschauliche Schilderung des Brandes am Merchant’s Quay abgegeben und über das Wohlbefinden ihrer Eltern berichtet. »Meine Mutter«, schloss sie, »hat vor, mit Wolle ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Weißt du, die Kellys haben einen Webstuhl für Breitgewebe.«
    Ryan blickte sie nachdenklich an. »Dann muss ich so schnell wie möglich ein Schiff mit Merinowolle nach Dublin schicken.«
    »Aber Merinowolle ist schrecklich teuer …« Insgeheim war sie erleichtert. Sie hatte schon gehofft, er würde seine Hilfe anbieten.
    »Die Preise sind gefallen, und die Schafe gedeihen in warmem Klima, aber nicht nur im Süden des Kontinents. Merino ist inzwischen die Hauptexportware aus Australien. Und sie wird mit Seide und Kaschmir gemischt. Das Vlies ist im Einkauf zwar teurer, aber das Garn lässt sich dafür für den dreifachen Preis von englischer Wolle verkaufen.«
    »Dann hältst du es nicht für klug, einen Wiederaufbau von Mahoney-Leinen zu versuchen?«
    Ryan seufzte tief. »Ich war in Bezug auf die Familientradition nie so sentimental wie dein Vater, und bin erleichtert, dass er der Erbe ist. Hätten Connor und ich nicht solche grundsätzlichen … Meinungsverschiedenheiten gehabt, wäre ich vielleicht als sein Partner in Dublin geblieben, aber das konnte nicht funktionieren. Wie du weißt, vertraut dein Vater ebenso sehr den Traditionen wie ich dem Fortschritt. Wir haben achtzehnhundertvierzig – eine neue Dekade! Die Leinenindustrie – der gesamte Stoffhandel – hat sich rasend schnell weiterentwickelt. Seine Entscheidung, keine mechanischen Webstühle zu verwenden, war ein großer Fehler.«
    Das schien sehr harsch, egal, ob es stimmte oder nicht. »Aber jeder anspruchsvolle Schneider merkt, ob er mit hochwertigem Leinen arbeitet«, wandte Rhia ein.
    »Es gibt noch ganz andere Stoffe, Rhia. Heutzutage werden ständig neue Fadenmischungen hergestellt. Fortschritt ist das Wort, das du in London am häufigsten hören wirst. Außerdem ist die Qualität der mechanisch hergestellten Leinenstoffe gar nicht so schlecht, wie dein Vater behauptet hat. Der Handel ändert sich. Die ganze Welt ändert sich.«
    Rhia wollte nicht als altmodisch gelten, doch sie konnte einfach nicht glauben, dass es in dieser neuen Welt der Maschinen keinen Platz mehr für Traditionen gab. Vielleicht hätte sie noch weiter versucht zu argumentieren, aber das Aussehen der Straßen hatte sich schon wieder gewandelt. Sie spürte, dass sie gerade durch ein wichtiges Stadtviertel fuhren.
    »Das hier ist Cornhill«, bemerkte Ryan, als genügte der Name als Erklärung für seine Lebendigkeit. In den Straßen pulsierte das Leben: Angestellte in Eile und Herren mit polierten Lederhüten und Mänteln mit Pelzkrägen. Was auch immer hier für Handel getrieben wurde, dieses Viertel war offensichtlich äußerst wichtig.
    Der Landauer bog in eine schmale dunkle Gasse ein, die treffend Cloak Lane hieß, und blieb vor einer Häuserreihe mit glatten Fassaden aus rotem Backstein stehen. Sie waren nur ein paar Straßen von Cornhill entfernt. Aber natürlich! Mrs Blake wohnte ja direkt im Zentrum von London, was bedeutete, dass sie gerade das Bankenviertel durchquert hatten. Eine prickelnde Vorfreude erfüllte sie bei dem Gedanken, so nah am Puls der Metropole zu wohnen.
    Über Antonia Blake hatten sie während der ganzen Fahrt von Euston hierher überhaupt nicht gesprochen, doch jetzt, wo sie ihre puritanische Gastgeberin kennenlernen sollte, spürte Rhia, wie ihre Nervosität zurückkehrte. Ryan tätschelte ihr die Hand. »Antonia ist die gütigste Frau, die du je getroffen hast. Habe ich dir erzählt, dass der Cousin ihres Mannes bei ihr in der Cloak Lane wohnt? Er arbeitet als Porträtist.«
    »Ein Maler!«
    »Nein, kein Maler. Laurence Blake ist sehr modern. Er erstellt Porträts mit Hilfe der fotogenen Zeichentechnik.«
    Noch ehe sie etwas erwidern konnte, betätigte Ryan den Türklopfer, der das erste Anzeichen dafür war, dass der Haushalt der Blakes vielleicht doch nicht so asketisch war, wie Rhia erwartet hatte. Es handelte sich nämlich um das schmiedeeiserne Haupt eines mythologischen Ungeheuers mit einem Ring durch die Nase.
    Rhia holte tief Luft, als sich die Tür öffnete.

11
    B ATIST
    Antonia runzelte die Stirn, als sie die Angeln der Haustür quietschen hörte. Was für ein unschönes Geräusch – sie musste daran denken, später etwas Leinöl aufs Scharnier zu geben. Sie füllte rasch

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