Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Winterrosen ab. Anfangs hatte es sich seltsam angefühlt, an Mamo zu schreiben, doch inzwischen schien es das Natürlichste auf der Welt. Sie fragte sich sogar, ob Mamo womöglich die ganze Zeit im Sinn gehabt hatte, dass der hübsche Silberfüller mit der glänzenden Knotengravur ihr hierzu dienen sollte.
Es klopfte leise an der Tür, und Antonia erschien mit einem Frühstückstablett.
»Sie sind ja schon angekleidet«, stellte sie überrascht fest.
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Ich auch nicht. Laurence ist vor einer Stunde zum China Wharf aufgebrochen. Isaac hat angeboten, uns mit seiner Kutsche abzuholen. Ich wollte sichergehen, dass Sie genug Zeit zum Ankleiden haben, aber wie ich sehe, hätte ich mir keine Sorgen zu machen brauchen.« Sie ging mit dem Tablett zum Tisch, hielt jedoch abrupt inne, als sie Rhias Bild sah.
»Ist das Ihre Arbeit?«
Rhia nickte.
»Aber das ist wirklich gekonnt ! Ich wusste ja gar nicht … Ganz erstaunlich. So zart, und ein solcher Einfallsreichtum. Sie haben eine gute Beobachtungsgabe.«
Rhia freute sich, von jemandem wie Antonia gelobt zu werden. An ihren fotogenen Zeichnungen konnte man erkennen, dass auch sie selbst ein Auge für Details hatte. Rhia gesellte sich zu ihr an den Tisch und betrachtete aus zusammengekniffenen Augen, was sie nachts gemalt hatte, um dessen Qualität zu beurteilen. Die Blätter in den verschiedenen Blauschattierungen glichen eher spiralförmigen Ranken, die wie Kerzenflammen im Wind über das Blatt züngelten.
Antonia beugte sich über den Tisch, um den Entwurf noch genauer unter die Lupe zu nehmen. »Erstaunlich, dass eine einzelne Farbe so viele Stimmungen haben kann.«
Rhia nickte zustimmend. »Ich habe mal einen Färber so lange beschwatzt, bis er mir jeden Blauton in seiner Werkstatt aufzählte, vermutlich in der Hoffnung, mich dann loszuwerden.« Sie zeigte auf die verschiedenen Näpfchen in ihrem Malkasten. »Das hier ist Perlblau und das dort Mazarinblau, und das ist Ultramarin. Die Färber haben den verschiedenen Schattierungen von indischem Indigo im letzten Jahrhundert diese Namen gegeben. Davor gab es nur Blaufärbstoff.«
Antonia lauschte aufmerksam. »Haben sich die Iren damit nicht früher selbst bemalt, ehe sie in den Krieg zogen?«
»Richtig. Um die Römer einzuschüchtern. Vielleicht sollten wir das auch mit den Engländern versuchen …« Rhia verstummte, weil ihr wieder einfiel, dass sie ja mit einer Engländerin sprach, doch Antonia lächelte.
»Sie sind sehr belesen.« Mehr sagte sie nicht, aber es schien ihr nicht zu missfallen.
»Zu belesen, wenn es nach meinem Vater geht. Wenn er wütend ist, sagt er, dass kein Mann mich mehr wird haben wollen. Und ich habe ihn ziemlich oft wütend gemacht …«
»Manche Männer wissen nicht, was sie mit einer Frau anfangen sollen, die in der Lage ist, selbständig zu denken. Sie können einfach nicht anders. Sie werden in dem Glauben erzogen, dass sie uns intellektuell überlegen sind, und ihnen das Gegenteil zu beweisen würde ihre Weltsicht ins Wanken bringen. Doch genau das müssen wir tun! Ich hoffe, Sie erwägen nie, einen Mann zu heiraten, der Sie nicht eigenständig denken lässt.« Antonia schwieg einen Moment lang und betrachtete die blauen Ranken. »Haben Sie noch mehr davon?« Rhia nickte und suchte ihre Mappe heraus. Sie hatte es nicht über sich gebracht, ihre Bilder in Irland zurückzulassen. Schließlich waren sie wie ein Tagebuch, und jedes erinnerte sie an den Tag, an dem es entstanden war. Antonia betrachtete einen Entwurf nach dem anderen und staunte über knotige Wurzeln, leuchtend bunte Reben und verflochtene Lilienbänder. Sie sagte, ihr gefielen sie allesamt ausnehmend gut, also zeigte Rhia ihr auch den Chintz von Thomas. Antonia wirkte fast ehrfürchtig, als sie mit dem Finger die goldene Feder eines Vogels und dann einen Zweig voll juwelengleicher Früchte nachfuhr.
»Wie wunderbar«, flüsterte sie schließlich. »Meine Liebe, dies ist ein Schatz. Davon dürfen Sie sich niemals trennen!«
Sie aßen ein bisschen Brot, auch wenn keine von beiden wirklich Appetit hatte, und warteten dann in der Eingangshalle, bis sie draußen das Zaumzeug klirren hörten.
Rhia mochte Isaac Fisher sofort, als sie in die Kutsche kletterte. Er trug einen flachen Hut mit Krempe und die weiße Krawatte, die Quäker immer ein bisschen wie Geistliche aussehen ließ. Er war groß, aber nicht korpulent, und sein schulterlanges Haar unterm Hut war von einem ergrauenden Braun.
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