Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Fältchen, als würde er viel lächeln. Mr Beckwith hingegen hob kaum den Blick. Entweder war er außerordentlich schüchtern oder von dem traurigen Anlass überwältigt. Vielleicht hatte er Ryan gern gemocht.
»Ich habe mit dem Negativ bisher noch nichts gemacht«, erwiderte Mrs Blake schließlich leise. »Es ist noch nicht übertragen.« Ganz offensichtlich wollte sie nicht über das Porträt sprechen, wodurch sofort Rhias Interesse noch wuchs.
»Mein tiefstes Mitgefühl, Miss Mahoney«, sagte Mr Montgomery. »Ihr Onkel war sehr beliebt. Man wird ihn vermissen. Bedauerlicherweise haben Mr Beckwith und ich heute noch eine ziemlich dringliche Verabredung und müssen daher leider auf den Besuch in der Cloak Lane verzichten. Ich würde trotzdem sehr gern Ihre Bekanntschaft machen. Ich weiß, es ist furchtbar kurzfristig, aber Sie müssen trotzdem alle drei einwilligen, kommenden Samstagabend meine Gäste zu sein.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Antonia sah Rhia an und errötete ein wenig. Rhia nickte, denn auch Laurence schien offensichtlich angetan.
»Wunderbar! Sagen wir acht Uhr?« Mr Montgomery wandte sich um und schritt über den Friedhof davon, während Beckwith hinter ihm her eilte. Mit seinem Zylinder aus Leder und dem schwarzem Mantel wirkte Mr Montgomery ziemlich beeindruckend. Beim Mantel musste es sich um englisches Wolltuch handeln. Dessen Qualität war, das musste selbst Rhia zugeben, dem in Wicklow gewebten sogar noch überlegen. Seine Lacklederstiefel und die silberne Spitze seines Spazierstocks blitzten in der Sonne und ließen keinen Zweifel daran, dass es sich bei ihm um einen Mann mit Geld handelte, der es auch gern ausgab. Das war irgendwie beruhigend.
Das Bild des grünen Samtbandes in der braunen Erde ließ Rhia nicht los, als sie langsam zu Isaac Fishers Kutsche zurückgingen. Es war ein Symbol der Erneuerung, beschloss sie, der Hoffnung. Wenn der heutige Tag ein Stoff wäre, könnte er nur grüner Samt sein.
Beth und Juliette in der Cloak Lane trugen gestärkte weiße Schürzen und Hauben. Sie knicksten, ehe sie Mäntel und Hüte in Empfang nahmen und die Gäste durch den Flur geleiteten.
Im Kamin des großen Salons, im Herzen des Hauses, brannte ein Feuer. Rhia hatte dieses Zimmer noch nie in Benutzung gesehen. Wie jeder Salon demonstrierte es den Wohlstand seiner Bewohner, doch bei den Blakes wirkte es irgendwie deplatziert. Der Teppich war von dunklem Rosé und die Vorhänge aus gemustertem Damast. Das Mobiliar bestand aus Teak und Mahagoni mit Polstern aus rotem Samt, und die Wände waren dunkelgrün tapeziert. Der Raum war konventionell und besaß nichts von Mrs Blakes sonstiger Leichtigkeit. Instinktiv spürte Rhia, dass dies Josiahs Raum gewesen war und seit seinem Tod nicht mehr benutzt worden war.
Einige Herren, deren Namen Rhia sofort wieder vergaß, traten zu ihr, um ihr Beileid zu bekunden und einige freundliche Worte über Ryan zu verlieren. Dann gingen sie wieder davon, um sich in Grüppchen am Kamin oder auf der Ottomane am Fenster mit gedämpften Stimmen zu unterhalten.
Antonia brachte ihr Tee in einer Tasse mit Unterteller aus rosafarbenem Porzellan, das so hauchzart war, als sei es aus einer Muschel gemacht. Eine ganze Weile sagte keine von beiden ein Wort. Rhia dachte über den Salon nach und über das Quäkertum. Trotz der Einfachheit des Glaubens hatten die Blakes offensichtlich ohne Scham die Annehmlichkeiten des Reichtums genossen.
»Sie denken vermutlich an Ryan«, versuchte Antonia sie schließlich aus der Reserve zu locken.
Rhia hatte fast ein schlechtes Gewissen, dass dies nicht der Fall war. »Nein. Ist es wahr, dass Lloyds und Barclays beide Quäker-Banken sind?«
Antonia wirkte überrascht. »Äh, ja.« Sie nickte langsam. »Wohlstand kann ebenso eine Folge moralischen Handels sein wie von Produktion in großem Maßstab. Es irrt nur, wer ein Dasein ohne Wohltätigkeit fristet, denn das ist es, was Gott für uns vorgesehen hat.«
»Woher können Sie wissen, was Gott vorgesehen hat? Er war seit fast zweitausend Jahren mit niemandem mehr direkt in Kontakt.«
Antonia besaß die Güte zu lächeln, ehe sie aufstand, um Nachschub an Beths Berberitzen-Törtchen und Ingwerkuchen zu holen. Rhia wünschte sich plötzlich, so zu sein wie sie: vollkommen und bedingungslos an etwas zu glauben, einer Überzeugung zu folgen, die Leben und Tod einen Sinn gab, anstatt zwischen Welten der Lebenden und der Toten zu schweben. Dafür das ganze Leben über nur noch
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