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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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die Menschen im Norden Kanadas … Er hat ein besonderes Gespür für die Bedürfnisse der Inuit-Bevölkerung. Er respektiert ihre Kultur und ihre Lebensweise, lernte ihre Sprache, übersetzte ihre Gebetsbücher und lebte wie einer von ihnen …«

Rückkehr nach Coppermine
    John Sperry junior lief an einem lauen Sommerabend nachdenklich am Ufer des Coppermine-Flusses entlang. So viele Eindrücke schon am ersten Tag der Rückkehr nach Coppermine, oder Kugluktuk, wie der Ort jetzt hieß.
    »Die Jahreszeit, in der wir kaum ins Bett mussten«, dachte er schmunzelnd, als er auf die große Weite des Flusses blickte und viele fröhliche Erinnerungen an eine außergewöhnliche Kindheit durch seine Seele purzelten. Für Jack war der Besuch in Coppermine Routine. Er war während seiner Amtszeit als Bischof des Öfteren hier gewesen und hatte die rasante Entwicklung des kleinen Ortes mitverfolgt. Bei seinem Sohn ging dieses Ereignis viel tiefer, war es doch erst die zweite Begegnung mit der Kulisse seiner Kindheit seit dem Abschied.
    Er hatte darauf bestanden, dass sein Vater früh ins Bett ging. Der folgende Tag war ein großer Tag der Festlichkeiten zum 80. Geburtstag der Siedlung. Jack musste fit sein, er war immerhin 82 geworden.
    John atmete die kühle Nachtluft genüsslich ein, während das Gold des Himmels sich vor seinen Augen in alle nur erdenklichen Schattierungen von Rot und Orange verwandelte, kleine Feuerzungen die Wolken umrandeten und der Sonnenball langsam, gemächlich an den Horizont sank. Dort würde er eine kurze Pause machen und dann wieder mit seinem Aufstieg beginnen. Alles geschah doppelt, weil das Wasser des Flusses und des Meeres das Schauspiel perfekt widerspiegelte.
    »Der Sonnenuntergang. Die eine Sache, die uns auch der modernste Fortschritt nicht wegnehmen kann und die sich nie ändern wird«, dachte er.
    Fast alles andere hatte sich verändert. Als das große Linienflugzeug auf dem Flughafen von Kugluktuk aufsetzte, dachte John an den Abschied vor 37 Jahren: Eine winkende, weinende Menschenmenge am Ufer, das ganze Dorf versammelt. Ein kleines Boot, in dem der bescheidene Besitz der Familie Sperry in Kisten gestapelt war. Gerade genug Platz für die Familie. Die kurze Bootsfahrt durch Eisschollen hindurch. Er sah es noch, als ob es gestern gewesen wäre. Der kleine zweimotorige Flieger, der weiter unten auf einer Sandbank geparkt war und sie zurück in die zivilisierte Welt bringen sollte.
    Helen, Angelas Freundin, die einst mit sieben Jahren schon einen Hundeschlitten führen konnte, hatte ihn und seinen Vater jetzt vom Flughafen abgeholt. Sie war stolze Besitzerin eines kleinen Lastwagens und fuhr die zwei Männer zu Kugluktuks einzigem Hotel. Die Besucher befanden sich mitten in einer Kleinstadt mit einer Bevölkerung von sage und schreibe 1 500 Menschen. Reihen von kleinen modernen Häusern säumten die geteerten Straßen. Fahrzeuge, Schulen und Verwaltungsgebäude und natürlich das Hotel zeugten von einer gedeihenden Infrastruktur. Jack wollte sich nach der Reise nicht ausruhen, er wollte seine Freunde sehen, viele von ihnen inzwischen betagt, einige bettlägerig. Groß war die Freude des Wiedersehens.
    »Sag mal, Dad, sie kamen mir damals schon alt vor, als ich ein kleiner Junge war. Jetzt sind fast 40 Jahre vergangen und sie sind unverändert!«
    »Na ja, Johnny, dich finden sie wohl schon etwas verändert«, antwortete sein neckischer Vater, »hast du nicht gehört, dass Ida und Jim darüber staunen, wie der kleine, runde Johnny-Mops von damals zu einem riesigen 230-Pfund-Muskelpaket geworden ist?«
    »Immer noch rund«, ergänzte John.
    Sowohl Vater als auch Sohn wurden die Augen feucht, als sie auf jedem Nachttisch eine Bibel sahen: die Frucht von Jacks jahrelanger Mühe und Arbeit. Alle Besuche endeten mit einem gemeinsamen Gebet. Für manche Einwohner sollte es die letzte Begegnung in diesem Leben mit ihrem geliebten Minihitak sein. Von anderen wertgeschätzten Weggefährten hatte sich Jack schon auf früheren Besuchen endgültig verabschiedet: Sam, Alec, Alfred, Peter, Ikey. Alle lebten nicht mehr.
    Bevor Jack und sein Sohn zum Hotel zurückkehrten, besuchten sie John Allukpik, der eins der zahlreichen Opfer der Umbruchszeit geworden war, in der die Inuit umgesiedelt worden waren. Seine und seiner Familie Rettung vor der totalen Verwahrlosung durch Alkohol kam durch einen Unfall. John Allukpik stürzte von einem Dach und war von der Hüfte abwärts gelähmt. Danach rührte er keinen

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