Am Rande Der Schatten
aus, als würde sie sich gleich übergeben.
»Wenn du auf diese Decken kotzt, wirst du eben im Dreck schlafen«, erklärte Vi.
»Kylar wird Euch töten«, erwiderte Uly. »Auch wenn Ihr ein Mädchen seid.«
»Ich bin kein Mädchen. Ich bin eine Schlampe, vergiss das nicht.« Vi warf den Beutel mit ihrem Essen Uly hin, die ihn fallen ließ. »Iss langsam und wenig, oder du wirst dich übergeben und sterben.«
Uly beherzigte ihren Rat und warf sich schon bald auf ihre Bettrolle. Binnen Sekunden war sie eingeschlafen. Vi blieb auf. Sie war müde, unendlich müde. Sie dachte nur dann so viel, wenn sie erschöpft war. Es hatte keinen Sinn zu denken. Es war nutzlos.
Sie beschäftigte sich damit, das Lager unsichtbar zu machen. Es war ein nebliger Morgen. Sie waren nicht weit von der Straße entfernt, aber sie befanden sich in einer kleinen Senke. Der Fluss kam schnell genug die Silberbär-Berge herabgesprudelt, um den größten Teil der Geräusche, die die Pferde vielleicht
machten, zu übertönen, und da sie kein Feuer entzündet hatten, würde ihre Anwesenheit hier kaum auffallen. Sie hatte ihr Bestes getan, die Pferde hinter einem Dickicht zu verstecken. Schließlich hockte sie sich an einen Baum und versuchte, ihren Geist davon zu überzeugen, wie müde ihr Körper war.
In der Ferne hörte sie ein Klappern. Es wurde vom Nebel gedämpft, aber es konnte nur eins bedeuten: Pferde. Sie zog ein Schwert und ein Messer und tauchte das Messer in ihre giftige Scheide. Während sie Uly betrachtete, erwog sie, das Mädchen mit Magie zum Schweigen zu bringen, aber das würde sie möglicherweise verraten, und sie wusste ohnehin nicht, ob es funktionieren würde. Daher presste sie sich nur mit dem Rücken an einen Baum und spähte in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Sekunden später tauchte Kylar auf, der zwei Pferde mit sich führte. Er kam in einer Entfernung von zwanzig Schritt vorbei. Das bedeutete, dass er beinahe ununterbrochen geritten war und zwischen den Pferden wechselte. Er wurde kaum langsamer, als er sich der Furt näherte. Vis Pferd stampfte auf, und eins der Pferde, die Kylar am Zügel führte, wieherte.
Kylar fluchte und riss an den Zügeln. Uly rollte sich auf die Seite, während Kylar sich durch den Fluss bewegte. Die Pferde kletterten am anderen Ufer hinauf, und das Geklapper ihrer Hufe verklang in der Ferne. Kylar drehte nicht ein einziges Mal den Kopf.
Vi lachte leise und legte sich nieder. Sie schlief gut.
Als sie am diesem Abend erwachte, lag Uly noch in tiefem Schlaf. Das war gut. Vi hatte keine Zeit, dem Mädchen nachzujagen. Ein anderer Entführer hätte das Kind einfach gefesselt, und die Angelegenheit wäre geregelt gewesen. Aber die stärksten Seile waren nicht von der Art, mit der man Hände
fesselte. Hoffnungslosigkeit war Vis Waffe, nicht Hanf. Seile, die Uly selbst machte, würden sie für immer fesseln.
Seile meiner eigenen Fertigung. Darüber weiß ich alles, nicht wahr?
Sie versetzte Uly einen Tritt, um sie zu wecken, aber nicht so hart, wie sie beabsichtigt hatte. Die Erlösung des Mädchens war so nah gewesen, und sie hatte es nicht einmal bemerkt.
31
Die wertvollste Fähigkeit, die Dorian je erworben hatte, erwies sich als recht simpel: Er lernte, wie man aß und trank, ohne seine Trance zu unterbrechen. Statt Solon zu bitten, ihn zu beobachten und nach den unvermeidlichen Zeichen von Entwässerung Ausschau zu halten und ihn zu wecken, war Dorian in der Lage, seine Trance wochenlang aufrechtzuerhalten.
Obwohl er wusste, dass es so schien, als sei er der Wirklichkeit unendlich entrückt, traf das Gegenteil zu. Von seinem kleinen Zimmer in Schreiende Winde aus beobachtete Dorian alles. Die cenarische Garnison Schreiende Winde war Khalidors Invasion entgangen. Der größte Teil der khalidorischen Armee hatte einfach Quorigs Pass benutzt, der mehr als sieben Tagesritte weiter östlich lag. Nach dem Tod von Logans Vater, Herzog Regnus Gyre, war die Garnison von einem jungen Adligen namens Lehros Vass angeführt worden. Er meinte es gut, aber er wusste nicht, was er ohne einen guten Kommandeur tun sollte.
Solon gab Ratschläge, die im Laufe der Tage weniger wie Ratschläge klangen und mehr wie Befehle. Wenn Khalidor
Schreiende Winde jetzt angriff, würde der Angriff von der cenarischen Seite erfolgen, daher befestigte er den Pass in dieser Richtung und holte die Männer sowie die Vorräte in die Mauern. Niemand erwartete jedoch einen Angriff. Die Wahrheit war, dass Schreiende
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