Am Rande Der Schatten
werden sie gegen den Widerstand einsetzen. Das ist es, was ich gesehen habe.«
»Du hast es nicht wirklich getan, nicht wahr? Du hast deine Gabe nicht wirklich zerstört«, fragte Solon.
»Wenn ich dich nicht wiedersehe, mein Freund, möge der Gott mit dir gehen«, erwiderte Dorian. Er verschmolz die goldenen Dornen mit den Handschellenhälften und kniete sich hinter den Baum. Dann ließ er die Dornen mit unnatürlicher Leichtigkeit in das Holz gleiten. Die Hände hielt er hoch erhoben und weit voneinander entfernt. Während er dort kniete, offensichtlich bereit, mit Gebeten das Martyrium durchzustehen, von dem er glaubte, dass es kommen werde, durchzuckte Solon ein Stich des Neids. Diesmal galt der Neid nicht Dorians Macht oder Dorians Abstammung oder Dorians schlichter, demütiger Integrität. Er beneidete Dorian um seine Gewissheit. Dorians Welt war sehr klar. Für ihn war Khali keine Gottheit oder eine Ausgeburt der Fantasie der Khalidori oder einfach ein uraltes
Ungeheuer, das die Khalidori mit einer List dazu bewogen hatte, ihm zu huldigen. Sie war ein Engel, der aus dem Himmel verstoßen worden war.
In Dorians Welt hatte alles einen Platz. Es gab eine Hierarchie. Die Dinge passten. Selbst ein Mann mit Dorians ungeheuren Kräften konnte demütig sein, weil er wusste, dass andere weit über ihm standen, selbst wenn er niemals einem dieser anderen begegnet war. Dorian konnte das Böse ohne Furcht und ohne Erbitterung beim Namen nennen. Er konnte behaupten, dass einige Böses taten oder dem Bösen dienten, ohne sie zu hassen. Solon hatte noch nie einen solchen Menschen gekannt. Mit Ausnahme vielleicht von Graf Drake. Was mochte aus ihm geworden sein? War er während der Invasion gestorben?
»Wozu soll all das gut sein?«, fragte Solon, während er aufhob, was eine goldene Schale gewesen war. Jetzt war es etwas zwischen einem Helm und einer Maske. Es würde Dorians Kopf vollkommen verhüllen, mit nur zwei kleinen Löchern in der Nase zum Atmen. Er drehte es. Es war eine perfekte Skulptur von Dorians Gesicht, die Tränen aus Gold weinte.
»Es wird verhindern, dass ich sie sehe, dass ich sie höre, dass ich ihr etwas zurufe, dass ich mich von dieser Stelle wegbewege. Es wird mich daran hindern, der letzten Versuchung nachzugeben - zu glauben, stark genug zu sein, um gegen sie zu kämpfen. Ich hoffe, es wird mich auch davon abhalten, die Vir zu benutzen. Aber ich kann mich nicht mit Magie fesseln. Ich brauche dich; du musst es für mich tun. Nachdem sie vorübergezogen ist, werde ich fliehen können, wenn die Sonne aufgeht und meine Magie wieder auffüllt, daher brauchst du dir um mich keine Sorgen zu machen. Wenn du dein Gold brauchst, es wird hier sein.«
»Du wirst fortgehen, ganz gleich, was geschieht.«
Dorian lächelte. »Frag mich nicht, wohin.«
»Viel Glück«, sagte Solon. Er hatte einen Kloß in der Kehle, der ihn daran erinnerte, wie gut es sich angefühlt hatte, nicht wieder allein zu sein. Selbst Streitigkeiten mit Dorian und Feir waren besser gewesen als der Friede ohne sie.
»Du bist mir ein Bruder gewesen, Solon. Ich glaube, wir werden uns wiedersehen, bevor dies getan ist«, erklärte Dorian. »Und nun beeil dich.«
Solon stülpte den goldenen Helm über Dorians Kopf und band ihn mit der stärksten Magie fest, die ihm zu Gebote stand, auch wenn er dazu seine gesamte Glore Fryden leeren musste. Bis zum Sonnenaufgang würde er keine Magie mehr wirken können. Es war kein behaglicher Gedanke. Während er von dem Felsvorsprung hinunterkletterte, hätte er schwören können, Borke über Dorians Arme wachsen zu sehen, wo sie andernfalls entblößt gewesen wären.
Von der Straße aus war Dorian unsichtbar. »Leb wohl, Bruder«, sagte Solon. Dann drehte er sich um und ging auf die Mauer zu. Jetzt musste er nur noch Lehros Vass davon überzeugen, dass er nicht vollkommen wahnsinnig war.
35
Der Gottkönig saß auf dem Thron aus Feuerglas, den er aus dem Fels des Schlunds hatte hauen lassen. Für ihn war die scharfkantige Schwärze eine Erinnerung, ein Ansporn und ein Trost gleichzeitig.
Sein Sohn stand vor ihm. Sein erster Sohn , nicht nur der Same seiner Lenden. Der Gottkönig breitete seinen Samen nah und fern aus. Das meiste, was daraus hervorspross, sah er nicht als Sohn an. Es waren nur Bastarde, und er verschwendete keinen Gedanken an sie. Die Einzigen, die zählten, waren die Jungen, die Vürdmeister sein würden. Die Ausbildung war jedoch mehr, als die meisten zu überleben imstande
Weitere Kostenlose Bücher