Am Rande Der Schatten
…«
»Tevor.«
»Richtig. Zurück an die Arbeit.«
Vis Muskeln verkrampften sich, als müsse sie sich übergeben. Als der Krampf vorüber war, fragte sie: »Wie soll ich es abstreifen?«
»Oh, den Zwang? Nun, wir sollten in der Lage sein, ihn noch heute Nachmittag zu brechen. Es ist jedoch ein wenig heikel. Wenn man auf die falsche Weise versucht, ihn zu lösen, wird er dadurch nur umso fester. Es wird aber kein Problem für Euch sein.«
»Warum …« Vis sich verkrampfender Magen machte es ihr unmöglich, den Satz zu vollenden.
»Magae ist es verboten, Zwang zu benutzen, aber wir lernen, uns dagegen zu schützen. Wenn Ihr uns nicht hättet, würde das Abstreifen des Zwangs eines äußeren Zeichens für eine innere Veränderung bedürfen, eines Symbols zum Zeichen, dass Eure Loyalität jetzt jemand anderem gilt. Ihr werdet auch diese Bedingung erfüllt haben, sobald Ihr das weiße Gewand und den Anhänger nehmt.«
Vi sah sie verständnislos an.
»Wenn Ihr Euch in der Chantry einschreibt«, erklärte Drissa. »Ihr habt doch die Absicht, Euch in der Chantry einzuschreiben, nicht wahr?«
»Ich schätze, so ist es«, antwortete Vi. Sie hatte nicht wirklich über die Zukunft nachgedacht, aber in der Chantry wäre sie vor dem Gottkönig sicher.
»Zwei. Ha«, sagte Tevor triumphierend. »Erzähl ihr von Pulleta Vikrasin.«
»Du magst diese Geschichte nur, weil sie ein schlechtes Bild auf die Chantry wirft.«
»Oh, nur weiter so, verdirb die Geschichte«, erwiderte Tevor.
Drissa verdrehte die Augen. »Um eine lange Geschichte kurz zu machen, vor zweihundert Jahren benutzte die Priorin eines der Orden Zwang bei ihren Untergebenen, und sie haben es erst herausgefunden, als eine der Magae, Pulleta Vikrasin, einen Magus heiratete. Ihre neue Loyalität ihrem Mann gegenüber brach den Zwang und führte dazu, dass mehrere Schwestern streng bestraft wurden.«
»Das war die schlechteste Wiedergabe dieser Geschichte, die ich je gehört habe«, bemerkte Tevor. Er sah Vi an. »Diese Heirat hat nicht nur wahrscheinlich die Chantry gerettet, sondern in dem verdrehten Denken jener Jungfern auch bestätigt, dass eine Frau, die heiratet, der Chantry gegenüber niemals wahrhaft loyal sein würde. Ich kann es gar nicht erwarten, bis …«
»Tevor. Noch einen weiteren?«, fragte Drissa. Wieder machte der kleine Mann sich an die Arbeit. »Entschuldigt, Ihr werdet schon bald mehr als genug über die Politik der Chantry zu hören bekommen. Tevor ist immer noch verbittert darüber, wie sie mich behandelt haben, nachdem wir die Ringe angelegt haben.« Sie zog an ihrem Ohrring.
»Ist das die Bedeutung dieser Ohrringe?«, erkundigte sich Vi. Kein Wunder, dass sie in Waeddryn so viele Ohrringe gesehen hatte. Es waren Eheohrringe.
»Abgesehen von einigen tausend Königinnen aus Eurer Börse, ja. Die Ringschmiede erzählen Frauen, dass die Ringe ihre Ehemänner unterwürfiger machen würden, und den Männern erzählen sie, dass ihre Frauen dadurch, sagen wir,
stärkere Leidenschaft entwickeln. Es heißt, dass in alten Zeiten ein beringter Ehemann von keiner anderen Frau als seiner Gemahlin erregt werden konnte. Ihr könnt Euch vorstellen, wie gut sie sich verkauft haben. Aber es sind alles Lügen. Vielleicht war es einmal die Wahrheit, aber jetzt haben Ringe kaum genug Magie, um sich nahtlos zusammenzufügen und ihren Glanz zu behalten.«
Oh, Nysos. Plötzlich ergab Kylars Brief an Elene erheblich mehr Sinn. Vi hatte nicht irgendeinen teuren Schmuck gestohlen; sie hatte das Versprechen eines Mannes auf unsterbliche Liebe gestohlen. Wieder stieg Übelkeit in Vi auf, aber diesmal dachte sie nicht, dass es etwas mit Tevors Magie zu tun hatte.
»Seid Ihr bereit, Vi? Dies hier wird wirklich wehtun, und nicht nur körperlich. Wenn wir den Zwang aufheben, werdet Ihr Eure bedeutungsvollsten Erfahrungen in Bezug auf Autorität noch einmal durchleben. Ich vermute, es wird nicht angenehm für Euch sein.«
Zutreffende Vermutung.
Drissa Nile war die Einzige, die jetzt noch helfen konnte. Logan war in schlechter Verfassung. Es war nicht weiter schwierig gewesen, ihn von der Insel Vos herunterzuholen, aber es hatte Zeit gekostet, und Kylar war sich nicht sicher, wie viel Logan davon noch blieb.
Logan hatte einen dolchartigen Stein in den Rücken gerammt bekommen, und er hatte alle möglichen Schnittwunden davongetragen, einige davon auf den Rippen und den Armen, und diese Wunden waren rot, entzündet und gefüllt mit Eiter.
Während
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