Am Rande Der Schatten
fürchten und die Dinge, die schlimmer sind als der Tod. Sie haben mir meine Kleider genommen. Sie haben mir meine Würde genommen. Ich sah die Guten zusammen mit den Bösen leiden. Ich sah, wie einer Frau Gewalt angetan wurde, und eine Frau, die sich das Leben nahm, damit ihr nicht noch einmal Gewalt angetan
würde. Ich sah gute Männer und schlechte ihren Handel mit der Dunkelheit schließen. Und ich habe meinen eigenen Handel geschlossen. Um zu überleben.
Meine Freunde, ich war unter der Erde eingekerkert. Ihr wart darüber eingekerkert. Ihr kanntet die Ängste, die ich kannte. Ihr habt die Gräuel gesehen, die ich sah, und Schlimmeres. Wir alle haben den Tod von Freunden erlebt. Wir wussten, dass Widerstand den Tod bedeutete … und meine Freunde, mein Volk, wir haben unsere Chancen betrachtet, und wir haben keine Hoffnung gesehen. Wir sind geflohen. Wir haben uns versteckt.« Logan hielt inne, und die Menschen schwiegen.
»Wart Ihr mit mir dort?«, fragte Logan. »Habt Ihr Zorn verspürt? Habt Ihr Euch machtlos gefühlt? Habt Ihr das Böse gesehen und nichts getan, um Euch ihm zu widersetzen? Wart Ihr voller Scham?«
Die Männer und Frauen blickten weder nach links noch nach rechts, aus Angst, dass ihre Nachbarn die Tränen in ihren Augen sehen würden. Aber sie nickten, ja, ja.
»Ich habe Scham empfunden«, fuhr Logan fort. »Lasst Euch erzählen, was ich im Loch erfahren habe. Ich habe erfahren, dass wir im Leiden das wahre Maß unserer Stärke finden. Ich habe erfahren, dass ein Mann an einem Tag ein Feigling sein kann und am nächsten ein Held. Ich habe erfahren, dass ich kein so guter Mann bin, wie ich gedacht habe. Aber das Wichtigste ist Folgendes: Ich habe erfahren, dass ich mich ändern kann, auch wenn es mir einen hohen Preis abverlangt. Ich habe erfahren, dass das, was zerbrochen wurde, neu geschaffen werden kann. Wisst Ihr, wer mich das gelehrt hat? Eine Prostituierte. In einer verbitterten Frau, die ihren Lebensunterhalt in Schande verdiente, habe ich Ehre, Mut
und Loyalität gefunden. Sie hat mich inspiriert, und sie hat mich gerettet.
Heute sind hier Frauen versammelt, die Euch die gleichen Lektionen erteilt haben. Viele von Euch schämen sich für Eure Mütter und Ehefrauen und Töchter, die vergewaltigt wurden, die in der Burg in die sexuelle Sklaverei gepresst wurden, die sich in Bordellen verkauften, damit sie überleben konnten. Ihr habt sie gemieden, sie zurückgewiesen.
Aber ich sage, Eure Frauen, Mütter und Töchter haben uns gezeigt, wie man kämpft. Sie haben uns die Nocta Hemata gegeben. Sie haben uns Mut gegeben. Sie haben uns den Weg von Schande zu Ehre gezeigt. Möge jede Frau vortreten, die in jener Nacht gekämpft hat!«
Einige Frauen traten auf der Stelle vor. Ermutigt von diesen, folgten andere ihrem Beispiel. Männer traten schweigend beiseite. Binnen weniger Augenblicke versammelte sich eine Gruppe von dreihundert Frauen vor dem Podest. Einige ließen ihren Tränen freien Lauf, aber sie hielten sich gerade, das Kinn hoch erhoben. Männer in den Reihen der Soldaten weinten jetzt unverhohlen. Nicht nur die Männer, die von den jetzt Vorgetretenen jemanden kannten, sondern auch Männer vom Land, Männer, die gewusst haben mussten, dass ihre eigenen Frauen beschämt und entehrt worden waren, Männer, die sich jetzt ihrer selbst schämten.
»Heute«, sprach Logan weiter, »erkläre ich Euch zu den ersten Mitgliedern des Ordens des Strumpf bandes. Ein Strumpf band, weil Ihr alle Scham in Ehre verwandelt habt. Stellt es voller Stolz zur Schau und erzählt Euren Enkelkindern für alle Zeit von Eurem Mut. Und kein Mann soll jemals Eurem Orden beitreten, es sei denn, er zeigt das höchste Maß an Heldentum und Mut.«
Die Menschen jubelten. Es war das Beste, was Logan je getan hatte.
»Ich befürchte«, sagte Logan, nachdem er die Menge zum Schweigen gebracht hatte, »dass Eure Strumpf bänder noch nicht bereit sind. Es scheint, wir haben die Materialien nicht zur Hand. Seht Ihr, wir werden sie aus den khalidorischen Schlachtenbannern machen.«
Sie jubelten.
»Was sagt Ihr dazu, Männer? Denkt Ihr, wir können ihnen aushelfen?«
Sie jubelten noch lauter.
»Und nun, Brüder, bitte, heißt Eure Geliebten willkommen. Sie brauchen Euch. Und Schwestern, heißt diese beschämten und gebrochenen Männer willkommen. Sie brauchen Euch.
Ich habe noch einige weitere Dinge zu sagen.« Logan holte tief Luft. Er hatte bereits länger gesprochen, als es seine Absicht gewesen war. Er
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