Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
wie PG Tips mit zu viel Zucker und zusätzlich auch noch Currypulver drin.
»Gut?«
»Ja«, log er. »Köstlich.«
Charlotte war nicht zu bremsen. Er empfand die tropische Hitze, als trüge er eine feuchte Decke auf den Schultern mit sich herum; er konnte sich kaum noch rühren. Ihr hingegen schien das nichts auszumachen, mal abgesehen davon, dass die hohe Luftfeuchtigkeit ihr blondes Haar in eine wilde Lockenmähne verwandelte.
Der Tag war komplett verplant: das indische Viertel, die Esplanade, Shopping, Lunch, dann weiter zum Changi-Gefängnismuseum. Hier stand Hegarty schweigend vor den Schaukästen. Sein Großvater Big Mick war Kriegsgefangener in Burma gewesen und hatte nach seiner Heimkehr nie darüber gesprochen, was ihm dort widerfahren war. Das alles relativierte Hegartys Londoner Sorgen doch ein wenig.
Ein Deckenventilator quirlte die schwüle Luft. Charlotte kam beschwingten Schritts in ihren Korkschuhen aus dem Buchladen zurück. »Alles in Ordnung?«, fragte sie, zupfte sich das Haar aus dem schweißnassen Nacken und fächelte sich mit dem Besucherprospekt das gerötete Gesicht.
Nein, nichts war in Ordnung. Er stand gänzlich neben sich.
Im Laufe des Tages bemerkte er einige Male, dass sie ihn streifte, wenn sie nebeneinander gingen. Als sie einen Text in einem Schaukasten lasen, kam sie ihm so nah, dass er den frischen Schweiß auf ihrer Stirn riechen konnte. Im Botanischen Garten bat Charlotte eine Frau, sie beide zusammen zu fotografieren, und legte ihm dabei einen Arm um die Schultern. Die zehn Sekunden, die es dauerte, bis das Foto geknipst war, war Hegarty benommen von der Hitze, von den Blumen und von ihr.
Beim Lunch dann, gebratene Nudeln in einem preiswerten kleinen Restaurant, rückte sie ihren Stuhl an seinen heran, und dabei spürte er ihre nackten Füße über seine Beine streifen, wobei sich ihm die Härchen aufstellten.
»’tschuldigung«, sagte sie und nahm die Füße wieder weg. »Mir war zu warm an den Füßen. Hier, möchten Sie von meinem probieren?« Sie hielt ihm mit ihren Stäbchen einige Nudeln hin.
Schließlich wurde es dunkel. Ihr Taxi zockelte durch die belebten Straßen des indischen Viertels zu Hegartys Hotel, und Musik und Lichter drangen aus den Geschäften.
»Also, was hätten Sie gern zum Abendessen?« Charlotte strotzte immer noch vor Energie, wohingegen er sich fühlte wie ein ausgequetschter Schwamm.
»Mein Flug geht morgen früh um acht. Vielleicht sollte ich besser zeitig schlafen gehen.« Er hielt das Geld für das Taxi schon in der Hand, für den Fall, dass sie wieder versuchen würde zu zahlen. Die Geldscheine fühlten sich schmierig an, ganz anders als daheim.
Sie nestelte an ihrem Haar, richtete es auf. »Ich wollte gerade sagen, wir sollten Dim Sum essen gehen. Das ist so eine Art chinesische Tapas.«
»Ich weiß«, sagte er, obwohl er noch nie davon gehört hatte. »Sie wollen also heute Abend noch mal mit mir in die Stadt? Bleibt für uns denn in Singapur jetzt noch irgendwas zu tun?«
Sie sah ihm in die Augen. »Möglicherweise schon.«
»Ja?«
»Na ja, es ist eine große Stadt.« Sie sah aus dem Fenster, und er meinte, sie erröten zu sehen. »Schauen Sie, wir sind da.«
Er machte seine Tür auf. »Treffen wir uns um sieben an der Stelle am Hafen?«
Sie lächelte strahlend. »Tolle Idee.«
Hegarty betrat seine winzige, fensterlose Kammer von einem Hotelzimmer, ging unter die Dusche und wusch sich den Tropenschweiß des ganzen Tages ab. Er konnte es sich nicht verkneifen, sich in dem beschlagenen Spiegel anzulächeln. Sie wollte, dass er blieb. Und in diesem Augenblick duschte sie wahrscheinlich ebenfalls, machte sich für den Abend mit ihm zurecht, suchte ein Kleid aus und kämmte sich über den nackten Schultern das feuchte Haar.
Oje. Immer noch mit dem bescheuerten Lächeln auf den Lippen trank er eins der warmen Biere, die er sich in dem Shop neben dem Hotel besorgt hatte. Er versuchte, seine Frisur mit Haarwachs in den Griff zu bekommen, und zog sich eine Jeans und ein frisches, wenn auch ungebügeltes weißes Hemd an. Er legte auch ein wenig Acqua di Giò auf, das er sich im Duty-free-Shop gegönnt hatte. Und als er dann schon auf dem Sprung war und sich bereits ausmalte, wie er bei dem abendlichen Spaziergang versuchen würde, Händchen mit ihr zu halten, klingelte sein Handy.
Charlotte war schon da, als er schließlich am Hafen aus dem Taxi stieg. Sie hielt ihr Telefon in der Hand, als hätte sie schon eine Weile gewartet, und
Weitere Kostenlose Bücher