Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
worden. Wieso hätte sie sonst so verblüfft geguckt? Als wäre sie wirklich schockiert, dass ihr jemand wehtat. Hatte sie das nicht kommen sehen? Und dann lag da der Zahn, mitten in einer Blutlache, und die beiden anderen Mädels machten sich vom Acker, und rate mal, wer übrig blieb und sich mit diesem neugierigen Bullen rumschlagen musste. Und dann zeigte er ihr auch noch ein Foto von Chris (zusammen mit dieser Schlampe Rachel)! Wieso hatte der überhaupt ein Foto von ihm?
Sie dachte an die Schuhe und an den Fleck auf der Badematte. »Was ist los, Chris? Du hast gesagt, du traust mir nicht. Wieso hast du mich da mitgeschleppt?«
Chris machte sich auch das letzte Bier an der Tischkante auf, wo der Lack inzwischen komplett abgesplittert war. Das würde man ihnen von der Kaution abziehen, aber ihm war das scheißegal. Die Mikrowelle klingelte. »Nimmst du das mal raus?«
»Was wolltest du denn mit ihrem Geldbeutel?«
Schlagartig legte er seine Ruhe ab – wie einen Mantel. »Hast du den? Gib ihn her!«
»Nein, ich …«
»Du hast ihn. Lüg mich nicht an.«
Sie brachte es nicht fertig. »Na ja, sie hat ihn fallen lassen, als ich auf die Toilette kam – Johnsons Schwester, die blöde Kuh. Aber da sind nur Bibliotheksausweise drin und so ’n Kram …«
Er riss Keishas Tasche vom Küchentresen und kippte sie über dem Tisch aus, und Busfahrkarten, alte Chipskrümel und Taschentücher flogen durch die Gegend.
»Ey!«
»Wo ist er? Verdammt noch mal, gib ihn her!«
»Himmelherrgott.« Ihr standen Tränen in den Augen. »Dein Essen ist fertig.«
Er packte ihren Arm.
»Also gut. Verdammte Scheiße, ich hol ihn dir.«
»Sag mir, wo er ist.« Er verstärkte seinen Griff.
»Aua! In meiner Jacke.«
Er ging hinaus, kam nur Sekunden später wieder und leerte auch den Geldbeutel der Blonden über dem Küchentisch aus. Ihre Oyster Card fiel heraus, zwanzig Pfund in Scheinen, Videotheks- und Fitnessstudio-Ausweise. Münzen hüpften durch die enge Küche, eine knallte gegen die Tür der Mikrowelle. Keisha fühlte sich schwach. »Siehst du? Gar nichts drin.«
»Scheiße.« Plötzlich war sein Arm an ihrer Kehle, und er drückte sie mit dem Rücken an den Kühlschrank. Die Küche war viel zu klein, das sagte sie ständig. »Hast du da irgendwas rausgenommen?«
»Nein. Herrgott noch mal!« Sie rang nach Luft.
»Nichts, wo ihre Adresse draufstand?«
»Du tust mir weh!«
»Scheiße.« Er ließ sie los.
»Das ist einfach nur eine dumme weiße Tussi, die hat die beiden nicht mal kommen sehen. Was willst du denn mit ihrer Adresse? Und wieso bist du da wirklich hingegangen? Ich weiß doch, dass du ihm keine Ehre erweisen wolltest – so einen Quatsch kannst du dieser Rachel erzählen.«
»Halt’s Maul.« Er drehte sich im Kreis und rieb sich das Kinn.
»Du willst rausfinden, wo sie wohnt – ist es das? Aber wieso? Wieso , Chris? Du hast ihn doch gar nicht gemocht, diesen Anthony. Er wär’ ein dummer Schnösel, hast du gesagt. Er wollte dir kein Geld geben, so war’s doch, stimmt’s?« Die Worte purzelten ihr nur so aus dem Mund, es war wie in dieser Filmszene, wo ein Zug nicht mehr halten konnte und auf einen Abgrund zuraste. »Du bist noch mal zurück in den Club, stimmt’s? Ich weiß doch, dass das kein Ketchup an deinen Schuhen war. Ich bin doch nicht bekloppt.« Sie konnte sich nicht mehr bremsen.
Chris ging in der kleinen Küche auf und ab. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. »Ich hab gesagt, du sollst das Maul halten, Keisha. Ich warne dich.«
Aber sie hatte ihre große Klappe noch nie im Griff gehabt. »Hast du ihn gesehen, als er schon tot war? Ist es das? Wolltest du nicht, dass die Polizei weiß, dass du noch mal zurückgegangen bist? Aber du würdest doch keinen Ärger kriegen, wenn du einfach nur helfen wolltest …« Sie hatte ein seltsames Gefühl, als ob ihr Magen Purzelbäume schlagen würde. »Hattest du Angst? Verdammt noch mal, Chris – bist du deshalb heute da hingegangen? Wieso erzählst du’s mir nicht? Was hast du getan? «
Es gab einen lauten Knall – Chris hatte die Bierflasche vom Tisch genommen und sie zerschlagen. Biergeruch lag in der Luft, und er drehte sich um und schrie: »Ich hab gesagt, du sollst die Fresse halten! Schnallst du das denn nie?«
»Hör auf, mich anzubrüllen! Ich will dir doch nur helfen! Wir können doch einfach mal mit jemandem darüber reden …«
Jetzt schaut sie euch an: Keisha Collins, die große Klugscheißerin, die über das arme weiße Mädel
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