Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
räusperte sich und fragte: »Haben Sie denn überhaupt einen Marketingplan für uns?«
»Natürlich. Selbstverständlich.« Sie eilte hinaus, wobei sie beinahe über die eigenen Füße stolperte und in ihrem Gesicht herumwischte, und druckte die richtige Datei aus. Dann ging das Meeting weiter, doch im Grunde hatte es sich bereits erledigt. Die Blondine sah immer mal wieder auf ihre Armbanduhr, und als Simon seine Präsentation beendet hatte, räusperte sich der Managertyp und sagte: »Tja. Sie hören dann von uns.«
Alle wussten, was das bedeutete: Geht scheißen, ihr armseligen Amateure . Und nachdem Simon die beiden hinausgeleitet hatte – die ganze Zeit lachend und ihre Rücken betatschend –, wandte er sich an Charlotte. Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig, es war, als wäre ein Rollladen heruntergerasselt. »Kann ich dich mal kurz sprechen?«
Allein in ihrer Küche ächzte Charlotte leise und schlug noch einmal mit dem Kopf gegen die Tür. Den von außen kommenden leichten Schmerz empfand sie beinahe als eine Linderung angesichts des qualvollen Durcheinanders in ihrem Hirn. Es war unglaublich. Sie hatte in ihrem Leben keinen Test und keine Prüfung mit weniger als siebzig Prozent bestanden, hatte keinen einzigen Arbeitstag gefehlt, und jetzt wurde sie gefeuert!
Sie nahm zumindest an, dass sie gefeuert war. Simon würde so etwas nie so direkt sagen, nicht, wenn es sich auch mit Worten zukleistern ließ, bis man nicht mehr wusste, woran man war. Sie sei eindeutig noch nicht so weit, wieder zur Arbeit zu kommen, hatte er gesagt. Nicht bereit für wichtige Kundenkontakte. Sie solle mal ein wenig kürzertreten. Sich ein wenig Zeit für sich selbst nehmen.
Sie nahm an, das hieß, dass sie gefeuert war. Auf jeden Fall hieß es, dass sie am nächsten Tag nicht wiederkommen sollte und auch keine Bezahlung erwarten durfte.
Du solltest wieder zur Arbeit gehen , hatte Dan in dem Brief geschrieben, den sie nun zusammengeknüllt in der Hand hielt. Du wirst das Geld brauchen . Jetzt schon fing sie an, ihn im Stich zu lassen. Charlotte schlang die Arme um sich und lehnte sich an die Tür. Sie hatte geglaubt, sie sei ganz unten angekommen, als Dan abgeführt wurde und sie ihren Zahn in ihrer blutüberströmten Hand hielt, doch da war ihr nicht klar gewesen, was sie noch alles zu verlieren hatte. Jetzt war all das verloren. Das hier war schlimmer als das, was sie bis dahin für das Schlimmste gehalten hatte. Was zum Teufel sollte sie jetzt tun?
Hegarty
Letztlich war es ganz einfach, die Adresse einer gewissen Mercy Collins in Gospel Oak herauszufinden, und ebenso leicht ließ sich ermitteln, dass sie in der Woche zuvor verstorben war. Ihre Nachbarin schien hocherfreut, Hegarty zu sehen, und wollte ihm alles über die Jugendlichen im Viertel erzählen. »Eier werfen sie an meine Haustür! Was sind das für Kinder, die so was tun?«
»Ja, das ist wirklich sehr bedauerlich, Mrs – Suntharalingam, richtig? Sagen Sie, ich bin auf der Suche nach Mrs Collins. Bei ihr scheint niemand zu Hause zu sein.«
»Sie ist dahingegangen, Gott segne sie, meine arme Freundin.«
»Dahingegangen?«
»Hingeschieden.«
Dann war die geheimnisvolle Keisha Collins also auch nicht im Haus ihrer Mutter anzutreffen. Er war sich sicher, dass sie irgendwas wusste. Aber wo steckte sie?
Nachdem er der Nachbarin versichert hatte, dass er sich um die kriminellen Eierwürfe im Viertel kümmern werde, und sie ihre Tür wieder verriegelt hatte, stand Hegarty auf dem Bürgersteig und tippte mit seinem Stift auf sein Notizbuch. Also: Chris Dean hatte sich inzwischen sicherlich aus dem Staub gemacht, nachdem sein Kumpel Jonny ihn gewarnt hatte. Keisha Collins war nicht bei ihrer Mutter und auch nicht in ihrer alten Wohnung, und sie hatte auch in keinem Hostel in der Gegend eingecheckt. Er konnte es ihr nicht verübeln, wenn sie versuchte, sich zu verstecken.
Die Kleine, das hatte er herausgefunden, befand sich bei Pflegeeltern in Kilburn und hatte seit Wochen weder ihre Mutter noch ihren Vater gesehen. Die zuständige Sozialarbeiterin, Sandra Soundso, hatte in ziemlich verächtlichem Tonfall gesagt: »Wir ermuntern sie natürlich, in Kontakt zu bleiben, aber in der gegenwärtigen Situation halten wir es für das Beste, wenn die Kleine dem Einfluss ihrer Eltern entzogen ist. Wenn sie ihren Lebensstil nicht radikal ändern, ist es unwahrscheinlich, dass die beiden das Sorgerecht wiederbekommen.«
»Nicht mal die Mutter?«
Sandra seufzte.
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