Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
stimmte. Sie zog ihren Reißverschluss noch höher zu. »Ja, jedenfalls: Meine Mutter ist gestorben. Weiß er das? Nachdem er sie besucht hatte, ist sie umgekippt und hatte einen Herzinfarkt!«
Jonny ließ den Kopf hängen. »Ja. Es tut ihm leid. Er hat’s nicht böse gemeint. Er wollte nur mit ihr reden.«
»Ja, klar. Reden .«
»Deano sagt, er wollte weiter nichts als sein Kind sehen. Das ist sein gutes Recht, ja? Und das ist echt kein Grund, ihm die Bullen auf den Hals zu hetzen.«
»Was? Erzähl keinen Scheiß. Mit den Bullen hab ich nichts zu tun.«
»Dir ist hoffentlich klar, dass die dich auch drankriegen, wenn du was sagst.«
Sie warf ihm einen bösen Blick zu. »Hör mal, ich muss los. Ich zieh heute aus.« Es war eine gute Idee, Chris wissen zu lassen, dass sie hier nicht mehr anzutreffen war, nur für den Fall, dass er auf die Idee kam, mit einem seiner reizenden Freunde vorbeizuschneien.
»Ach ja? Wo ziehst du denn hin?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Weg. Weit weg. Geht dich nichts an.« Aber das war eine gute Frage. Der Typ war gar nicht so dumm, wie er aussah. Wo zum Teufel zog sie jetzt hin?
»Hast du in letzter Zeit wen angerufen?«, fragte Jonny ganz unschuldig.
»Wie sollte ich? Er hat mein Handy sperren lassen, der Arsch.«
»Deano glaubt, du hast dich mit dieser blonden Tussi getroffen. Die, wo sie den Macker wegen Anto Johnson drangekriegt haben.«
»Was? Ich kenn die nicht mal.« Sie dachte an den Geldbeutel der Blonden, mit ihrer Adresse drin, der sich in ihrem Rucksack im Haus ihrer Mutter befand. »Ich hab zu tun. Zieh Leine, Jonny. Und sag deinem ›Deano‹, die Zeiten, wo er mir ein blaues Auge hauen konnte, die sind vorbei.«
Jonny schüttelte den Kopf, als hätte Chris nichts Schwerwiegenderes getan, als aus Versehen ihre letzte Dose Cola auszutrinken oder so. »Er hat es nicht so gemeint, Keesh. Er ist bloß grade total im Stress, verstehst du? Die Zeiten sind hart. Er vermisst dich. Er hat gesagt, das war alles ein Missverständnis, wie neulich nachts auch in dem Club.«
Sie sah ihn an. Hieß das, sie hatte Recht gehabt: Chris war in dieser Nacht tatsächlich noch mal zurückgegangen, um Anthony Johnson zu helfen? Aber wieso hatte er sie dann zusammengeschlagen, wenn er nur deshalb Blut abgekriegt hatte, weil er versucht hatte, dem Typen das Leben zu retten? »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Wirst du denn deine Tochter besuchen? Die kleine Ruby?« Jonny ließ seine Finger knacken, als wäre das hier der reinste Zeitvertreib. »Deano fragt sich, wo sie wohl ist.«
Es kam nicht in Frage, dass sie mit diesem Arschloch über Ruby redete. »Ich weiß nicht, wo sie ist. Und er wird sie nicht finden. Hier ist sie jedenfalls nicht.«
Da lächelte er wieder. Ein grauenhafter Anblick. »Dich hat er doch auch gefunden.«
Ihr Herz pochte. »Hör zu, Jonny. Du verpisst dich jetzt. Und ihm sagst du, er kann sich auch verpissen. Lasst mich in Ruhe und lasst Ruby in Ruhe. Sonst sage ich, was ich gesehen habe. Das kannst du ihm ausrichten. Er wird wissen, was das bedeutet.«
Auf Jonnys Gesicht machte sich Verwirrung breit. Keisha ging weiter und vermied es, sich noch einmal umzusehen. Kurz vor dem Haus blieb sie dann doch noch einmal stehen; sie wollte nicht, dass er sah, wohin sie ging; aber da war er schon verschwunden.
In der stillen, dunklen Diele lehnte sie sich schwer atmend mit dem Rücken gegen die Haustür. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Dieser Jonny hatte Pranken wie ein Gorilla. Gott sei Dank war es helllichter Tag. Sie hatte Gänsehaut auf den Armen. Was führte Chris im Schilde? Wollte er sie jetzt etwa zurück – nachdem er sie zusammengeschlagen hatte? So eine Frau war sie nicht.
»Er ist hinter mir her, Mum«, flüsterte sie in das leer geräumte Haus hinein. »Was mach ich denn jetzt?«
Aus dem Muff und dem Schummerlicht kam keine Antwort. Na ja, das war auch nicht nötig, sie wusste auch so, was Mercy jetzt gesagt hätte. Keisha nahm den Rucksack mit den Dingen, die sie aufheben wollte, ging hinaus, schloss die Tür ab und warf die Schlüssel durch den Briefschlitz. Immer Ausschau haltend nach einem eins fünfundneunzig großen Irren im Umbro-Trainingsanzug nahm sie den nächsten Zug nach West Hampstead. Ohne recht zu wissen, warum, fuhr sie nach Belsize Park.
Charlotte
Die letzte Straße zu ihrem Haus rannte Charlotte förmlich. Sie hasste es inzwischen, in dieser Gegend zu Fuß unterwegs zu sein. Da war die Erinnerung an den roten Glibber, der ihr
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