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Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Am Sonntag blieb der Rabbi weg

Titel: Am Sonntag blieb der Rabbi weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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habt mich schön reingelegt», jammerte Irving Kallen, «du und der Doktor!»
    Meyer Paff grinste. «Keine Kunst, Irving, es war die letzte Runde – da haben wir versucht, den Einsatz hochzutreiben.»
    «Glaub ihm kein Wort, Irving!», sagte Dr. Edelstein, ein dicklicher, ständig lächelnder Mann. «Die normale Taktik, um den Bluffer herauszuholen.»
    «Immerhin hast du gewonnen, oder?», fragte Paff.
    «Nee.» Kallen reihte die kleinen Spielmarkenhäufchen aufeinander. «Lass mal sehen … Ich verliere zweiunddreißig – nein, siebenunddreißig Cent. Gewonnen hast du, wie üblich.»
    Paff sammelte die Spielmarken ein und legte sie in den Kasten zurück.
    «Einfach Dusel, so was», meinte Kallen.
    «Von wegen. Gewusst wie!», grinste Paff.
    «Auch gut. Ich spiele lieber Bridge.»
    «Wenn du Kartengefühl hast, kannst du alles spielen», warf Kermit Arons ein.
    «Also gestern Abend, da haben wir bei Nelson Shaffer Bridge gespielt, und …»
    «Aha, jetzt kommt’s raus!» Paff schlug auf den Tisch: «Wenn du am Sabbat Karten spielst, statt in die Synagoge zu gehen, dann verlierst du beim nächsten Mal haushoch – ist doch klar!»
    «Na, also – siebenunddreißig Cent, das ist nicht die Welt. Und wenn man die beiden Abende zusammenzählt, hab ich ganz schön gewonnen … überhaupt», fügte er boshaft hinzu, «nach dem, was ich so höre, wärst du vermutlich froh, wenn du gestern Abend auch in die Synagoge gegangen wärst.»
    «Brennerman hat Meyer ganz schön durch den Kakao gezogen», sagte Arons, «aber eigentlich hat er uns alle gemeint.»
    «Wegen der Sache mit den Plätzen?», fragte Dr. Edelstein. «Also, ich sitze genauso gern hinten. Mit der Lautsprecheranlage hört man überall gleich gut – und, ehrlich gesagt, ich bin ganz gern in der Nähe der Tür: Da kann man an den hohen Feiertagen, wenn’s von früh bis abends geht, zwischendurch mal draußen frische Luft schnappen, ohne dass es gleich alle merken.»
    «Und wenn sie dich eines Tages in den Gemeindesaal runterschicken? Weißt du noch? Letztes Jahr gab es zwei Gottesdienste, einen oben und einen unten im Gemeindesaal.»
    «Ja, aber nur die neuen Mitglieder saßen unten. Die alten …»
    «Das ist es ja gerade: Sie wollen die Sitzordnung demokratisieren. Wenn es keine reservierten Plätze mehr gibt, muss man in den Gemeindesaal hinunter, sobald die Synagoge voll ist.»
    «Ja, dann allerdings … Das geht ein bisschen weit, finde ich.»
    «Ich sitze nicht gern hinten», erklärte Kallen. «Und mein Vater, der betrachtet unsere Sitze in der ersten Reihe als so was wie Ehrenplätze …»
    «Und das viele Geld, das wir für die Plätze gezahlt haben?», empörte sich Arons. «Ich hab tausend Dollar für den Baufonds gespendet, bar auf den Tisch – damals, als Becker noch Gemeindevorsteher war. Dafür haben sie mir einen festen Synagogenplatz versprochen. Ich betrachte das als Vertrag, den ich mit der Synagoge geschlossen habe – und wenn der Tempel vertragsbrüchig wird, wer soll dann noch Verträge einhalten?»
    «Ja eben!» Kallen nickte heftig. «Ich bin völlig deiner Meinung, Kerm. Wenn man nicht mal dem Tempel trauen kann …»
    «Schön und gut. Aber was können wir tun?»
    «Ich will dir sagen, was wir tun können, Meyer», verkündete Kallen: «Ich gehöre schließlich noch dem Vorstand an, ich kann die Sache zur Sprache bringen und verlangen, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.»
    «Und was erreichst du damit? Dann ergreifen sie Maßnahmen – das heißt, sie lassen abstimmen; und dabei kriegen Gorfinkle und seine Clique die Mehrheit»
    «Wenn sich der Vorstand nicht mehr an seine Versprechen hält, dann hat er mich aber gesehen!»
    «Und wohin wirst du gehen, Irv? Nach Lynn? Oder nach Salem? Wo dich kein Mensch kennt?»
    «Wisst ihr, was ich täte?», fragte Edelstein. «Ich würde bleiben; aber die könnten sich bei nächster Gelegenheit den Mund fusselig reden, bis sie auch nur einen Cent von mir zu sehen kriegten!»
    «Nein, Doc.» Paff schüttelte den Kopf. «Das geht vielleicht in einer christlichen Gemeinde, aber nicht in der Synagoge. Bei uns bitten sie dich nicht um Spenden – sie fordern. Das gehört zur Tradition. Ihr kennt doch den alten Witz: Das Einzige, worüber sich zwei Juden einigen können, ist die Summe, die der dritte für die Synagoge spenden soll … Wenn du weniger gibst als im Vorjahr, dann hast du noch Glück gehabt, wenn die Leute nur glauben, deine Praxis geht schlecht. Und gar nichts geben –

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