Am Sonntag blieb der Rabbi weg
«Wisst ihr, eigentlich hatte ich vor, das Grundstück selbst zu kaufen.»
«Wie – noch eine Kegelbahn …?»
«Ja. Aber keine gewöhnliche. Kombiniert mit einem Restaurant und einem Tanzlokal; vielleicht auch einem Billardsalon – das ist neuerdings sehr populär … Na ja. Jedenfalls, als wir uns gestern Abend unterhielten, ist mir aber plötzlich aufgegangen, was am Freitagabend eigentlich passiert ist.»
«Teds Predigt?»
«Die hat eigentlich nur das Fass zum Überlaufen gebracht … Ich hatte den ganzen Tag nichts als Ärger gehabt – so ein Tag, an dem alles schief geht; ihr kennt das doch auch … Und als wir dann beisammensaßen, da dachte ich auf einmal, hast du das eigentlich nötig – noch ein Geschäft? In deinem Alter? Und dann stellte ich mir dieses Haus als Synagoge vor … Heute baut man oft alte Häuser in Synagogen um – und glaubt mir, die meisten sind lange nicht so schön wie dieses hier! Wir könnten Träger einziehen und im Parterre ein paar Wände einreißen; das wäre der Synagogenraum, und da gehen spielend hundert Menschen rein … Wir brauchen nur noch eine neue Heizung – ja, und vielleicht noch neue sanitäre Anlagen. Das ist alles. Der Kasten ist solide gebaut … Im ersten und zweiten Stock könnten wir Schulräume einrichten.»
«Na, ich weiß nicht …» Kallen schüttelte den Kopf. «Ein vergammeltes altes Haus, enge Schlafzimmer als Klassenräume, eine Synagoge, die immer aussehen wird wie eine missglückte Wohn-Esszimmer-Kombination – da kannst du anstellen, was du willst … Wie in Salem: Dort haben sie vor zehn Jahren mit fünfzig Mitgliedern angefangen; heute sind es immer noch fünfzig, und sie kriegen das Geld für einen Neubau einfach nicht zusammen.»
«Stimmt, Irv. Aber das ist nicht dasselbe. Unser Haus liegt am Meer.»
«Na und?»
«Ich zeig’s euch mal.» Er führte sie den Pfad zum Strand hinunter. Unterwegs redete er weiter auf sie ein:
«Warum tritt man einer Gemeinde bei? Manche Leute tun es sicher aus gesellschaftlichem Ehrgeiz; sie wollen eine Rolle spielen. Aber dem Vorstand anzugehören, haben die meisten keine Lust. Sie wissen, dass das ein teurer Spaß ist – Vorstandsmitglieder werden geschröpft … Nein, die Mehrzahl will einfach einen Synagogenplatz für die Hohen Feiertage und eine Religionsschule für die Kinder. Aber das bringt eine Gemeinde nicht weiter. Die Hohen Feiertage, das sind nur drei Tage im Jahr. Und der tägliche Gottesdienst? In der ganzen Gegend gibt es keine einzige Synagoge, in der man sicher sein kann, dass jeden Tag zehn Leute für ein Minjan zusammenkommen. Und wie viele kommen schon an Freitagabenden? Fünfzig? Fünfundsiebzig? Dafür langt dieses Haus hier allemal …»
Er hielt inne, um den anderen Gelegenheit zu geben, die Aussieht auf das Meer zu genießen. Dann fuhr er fort: «Nein – was die Leute wirklich lockt, ist ein Ort, wo man Bar-Mizwah und Hochzeiten feiern kann. Bis jetzt konnten wir für derartige Anlässe nur den Gemeindesaal im Souterrain anbieten. Und jetzt vergleicht das mal mit dem hier …» Er führte sie zur Ufermauer. «Stellt euch das im Sommer vor – und die meisten Hochzeiten finden doch im Sommer statt: Terrasse, Blick aufs Meer … Wenn jemand seine Tochter verheiratet, kostet ihn die Hochzeitsfeier einen Haufen Geld, so oder so. Die Frau und die Tochter wollen eben, dass es ‹schick› wird – dem Mann liegt vielleicht nicht so viel daran, aber den Damen umso mehr. Sie schauen sich also den Gemeindesaal an – dann kommen sie zu uns. Wir zeigen ihnen, was wir zu bieten haben: eine Hochzeitsfeier in einer prachtvollen alten Villa am Meer, bei schönem Wetter im Freien … Wisst ihr übrigens, dass eine orthodoxe Hochzeitsfeier im Freien stattfindet? Was hat also mehr Chancen – die alte Synagoge oder unser Haus? Wetten, dass alle zu uns kommen? Auch was die Mitgliedschaft angeht … Wir könnten es uns sogar leisten, wählerisch zu sein. Wir brauchen noch lange nicht jeden zu akzeptieren. Die Leute müssten erst einen Antrag stellen …»
«Und wenn wieder dasselbe passiert, Meyer?», fragte Edelstein. «Wenn uns die neuen Mitglieder mit der Zeit zahlenmäßig über den Kopf wachsen und uns verdrängen wollen?»
«Hab ich mir auch schon überlegt. Dem kann man leicht vorbeugen: Wir beschränken die Zahl der Vorstandsmitglieder und halten in den Statuten fest, dass die Gründungsmitglieder automatisch dem Vorstand angehören. Kein Problem. Überhaupt, ich möchte in den ersten
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