Am Sonntag blieb der Rabbi weg
wollten schon den Doktor holen.»
«Und dann?»
«Am nächsten Tag genau dasselbe. Ich war mitten in der Arbeit, da hör ich wieder ein Kapitel. Und so ging das weiter – jeden Tag ein Kapitel. Bis ich durch alle fünf Bücher Moses durch war.»
«Und dann?»
Carter schüttelte den Kopf. «Nachher bekam ich nur Botschaften, wenn ich sie brauchte.»
Er verschmierte eine Fuge mit Kitt – schnell, geschickt, fachgerecht.
«Wie meinen Sie das – wenn Sie sie brauchten?»
«Na, zum Beispiel …» Er betrachtete sein Werk prüfend; dann wandte er sich einer anderen Stelle zu. «… zum Beispiel damals, als die Stadtverwaltung darüber abstimmen ließ, ob dem Trinkwasser Fluor beigegeben werden soll … Die Sache hat mich sehr beschäftigt. An sich hielt ich’s für Blödsinn; ich glaub nicht an so chemisches Zeug … Ich meine, dass man so was künstlich dem Körper zuführen soll. Aber meine Frau hat damals gerade unser Jüngstes erwartet, und da hab ich mal mit dem Doktor drüber gesprochen. Er war sehr dafür, und da kamen mir Zweifel … Ist ja klar – er als gebildeter Mann und von allen respektiert … Und dann erhielt ich eine Botschaft, und ich wusste, dass ich Recht gehabt hatte …» Er schloss das Fenster und wandte sich dem Rabbi zu: «Schauen Sie mich an, Rabbi: Ich bin achtundfünfzig; ich war noch nie im Leben krank. Ich hab noch alle Zähne, und ich brauch keine Brille … Das kommt davon, weil ich richtig lebe. Ich esse kein Fleisch und keine Süßigkeiten. Ich trink weder Tee noch Kaffee, noch Alkohol.»
«Dass Sie kein Fleisch essen sollten, war das auch eine Botschaft? Das entspricht nämlich nicht den Speisegesetzen der Bibel.»
«Darüber lässt sich streiten, Rabbi. Er erwartet eben, dass der Mensch seinen Verstand braucht …» Er prüfte den Fensterriegel. «Es steht doch geschrieben: ‹ Du sollst nicht töten.› Und es steht auch geschrieben, dass man keinen Teil von einem lebendigen Tier essen darf. Mit anderen Worten – man darf kein Fleisch essen … Ich weiß, in der Bibel ist gesagt, welche Tiersorten man essen darf – alle Wiederkäuer mit gespaltenen Hufen. Aber ich denk mir, das ist für die große Masse, für die vielen, die nicht fest sind im Glauben und sich immer noch nach den Fleischtöpfen Ägyptens sehnen. Die kommen irgendwie nicht los davon, und darum erlaubt Er ihnen, gewisse Tiersorten zu essen. Aber es ist doch klar, dass es Ihm lieber wäre, wenn überhaupt kein Fleisch gegessen würde.»
«Ich verstehe.»
«Ja, und dann bekam ich auch noch eine Botschaft, als ich weder ein noch aus wusste wegen meines ältesten Jungen …»
Der Rabbi wollte wissen, wie viele Kinder Mr. Carter hatte.
«Fünf. Drei Jungen und zwei Mädchen. Moses ist mein Ältester … Vielleicht haben Sie schon von ihm gehört? Moose Carter; sie nennen ihn Moose, Elch, weil er so ein Mordsbrocken ist. War der beste Footballspieler hier an der High School. Siebenundsechzig Colleges haben sich um den Jungen gerissen, Rabbi – siebenundsechzig!»
Der Rabbi war beeindruckt. «War er ein guter Schüler?»
«Nee. Konnte bloß Football spielen … Die Trainer sind seinetwegen hierher gekommen, um ihn anzuwerben. Die tollsten Angebote haben sie ihm gemacht. Einer hat ihm sogar Mädchen angeboten.»
«Mädchen?»
«Ehrenwort … Er hat gesagt, in seinem College stehen die Mädchen Schlange, um einen so gut aussehenden Footballstar zu heiraten. Und dann hat er so gezwinkert und zu Moose gesagt: ‹Du brauchst sie ja nicht unbedingt zu heiraten …› Den hab ich vielleicht rausgeschmissen! Also ich, ich wollte den Jungen ja überhaupt nicht aufs College schicken, und schon gar nicht auf so eins. Ich wollte, dass er arbeiten geht. Aber schließlich hat er doch eins der Angebote angenommen. An einem College in Alabama … Seine Mutter hat das durchgesetzt.»
«Und dann? Wie ist es weitergegangen?»
Der Tischler schüttelte den Kopf. «Bis Weihnachten war er dort. Bis die Footballsaison zu Ende war; dann wollten sie nichts mehr von ihm wissen. Er hatte sich am Knie verletzt, da konnten sie ihn nicht mehr brauchen. Und wie gesagt, er war ein schlechter Schüler … jetzt ist er wieder daheim. Über drei Monate hockt er schon rum, und noch keine volle Woche hat er gearbeitet. Manchmal hilft er abends in Lynn an der Kegelbahn aus, oder er nimmt von Zeit zu Zeit auch mal ’n Aushilfsjob an. So verdient er sich ein bisschen Taschengeld. Meine Frau schiebt ihm sicher zwischendurch ein paar Dollar
Weitere Kostenlose Bücher