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Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel

Titel: Am Sonntag kommt das Enkelkind - und andere Einblicke in meine Wel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Langen Müller
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ich ihr, heutzutage nicht vorsichtig genug sein, die Taschendiebe schreckten vor nichts zurück. Die junge Frau hätte doch mitbekommen müssen, dass die Tasche auf der Heizung jemandem gehöre. Meine Gesprächspartnerin nickte Einverständnis. Trotzdem sagte sie milde: Vielleicht hat sie sich mit jemandem verabredet, der eine blaue Tasche hat.
    Nun kenne ich mich mit den Tricks der Branche optimal aus, seitdem mir in einem Restaurant ein Straßenräuber die Handtasche unter meinen Augen gestohlen hat. Ich hielt es für Pflicht und Nächstenliebe, die gutgläubige Frau umfassend aufzuklären. Mein Partner und ich waren uns einig, dass so eine hinter dem Mond zu Hause sein müsse und bestimmt auch mit Gänseblumen quatsche.
    Die präsumptive Taschendiebin saß derweil am Nachbartisch. Noch nicht einmal ein Glas Wasser hat sie sich geholt, empörte ich mich. Just in dem Moment wurde sie von einer Dame angesprochen, einer mit einer dunkelblauen Einkaufstasche, die meiner aufs Haar glich. Die beiden gingen zusammen los und ich in mich. Bei der Dame am Nachbartisch entschuldigte ich mich, dass ich sie für eine blauäugige Dorfpomeranze gehalten hatte, natürlich, ohne ein Wort zu sagen. Feiglinge reden ja nie viel. Weshalb ich die Geschichte erzählt habe? Weil ich durchaus dafür bin, dass man von Zeit zu Zeit die Prügel, die man anderen zugedacht hat, selbst beziehen sollte.

Bloß nicht zurück in die Fünfziger!
    Die fünfziger Jahre kommen mal wieder auf uns zu. Noch nicht die Nierentische und Tütenlampen, aber doch die ersten Grüße der Modeateliers. Wer die Zeit der Petticoats und Ringelstrümpfe erlebt hat, erinnert sich an Glockenröcke und gerüschte Blusen, an Volants und an die groß karierten Jacken, die im Rückblick alle aussehen, als wären sie aus Pferdedecken umgearbeitet worden.
    Weil ich die fünfziger Jahre nicht nur erlebt, sondern genau im Gedächtnis habe, frage ich mich immer wieder, weshalb die Heutigen die Zeit von damals so vergolden. Zugegeben: O.W. Fischer war noch jung, Haferflocken kosteten 49 Pfennig das Pfund, und artige kleine Mädchen glaubten an den Klapperstorch. Ihre Mütter gingen nicht ohne Hut in die Stadt, gönnten sich Berge von Schlagsahne und nach Herzenslust Tratsch im Treppenhaus. Im Frankfurter Zoo gab es noch Elefanten. Die Alten nannte man noch nicht Senioren, sagte aber auch nicht Hoppla, Oma!, wenn man sie über den Haufen rannte.
    Sehr genau bleibt mir im Gedächtnis, dass die Fünfziger längst nicht so problemlos waren, wie der Blick zurück uns suggeriert. Es war wahrhaftig kein schieres Vergnügen, jung zu sein, trennte sich die ältere Generation doch schwer vom gewohnten Befehlston der Kriegsjahre. Der Satz »Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst«, bestimme ich« wurde im trauten Familienkreis häufiger gebraucht als »bitte« und »danke«.
    Möge uns auch der Hawaii-Toast gemundet haben, schwer zu ertragen war der moralische Mief der unmittelbaren Nachkriegszeit. Verliebten ohne Trauschein blieb nur ein Bett im Kornfeld, ledige Mütter waren allesamt Sünderinnen. Bei Männern galten außereheliche Exkursionen als Kavaliersdelikt. Im Deutschunterricht wies Frau Oberstudienrätin weniger auf Goethes Sprachkraft als auf Gretchens sittliche Verfehlung hin.
    Schon wegen der Verklemmtheit der Fünfziger wünsche ich mir kein klitzekleines bisschen meiner Jugendzeit zurück. Kann ich aus Altersgründen auch keinen Petticoat mehr tragen, so kann ich das Leben doch in vollen Zügen genießen. Zum totalen Glück brauche ich mir noch nicht einmal einen jungen Mann mit Vespa zu wünschen.

Ohne Kuss geht nichts
    Zu den bisher nicht eingehend erörterten Nebenwirkungen der Schweinegrippe gehört die ärztliche Empfehlung, sich beim Küssen Zurückhaltung aufzuerlegen. Das trifft uns alle, nicht nur, wie ich zunächst voreilig vermutete, die Bussi-Gesellschaft, die südlich des Mains den oralen Austausch von Zärtlichkeiten und Jubellauten jenseits einer erträglichen Schallgrenze zu praktizieren pflegt. Nein, ein Kuss, ob ein Übermittler von Bazillen oder nicht, ob zum Zeitpunkt des Geschehens salonfähig, unpassend oder provokativ, ist in den meisten Teilen der Welt ein Stück Kultur.
    Ungeküsst sollten Frauen nicht zu Bett gehen. Ich küsse Ihre Hand, Madame, sangen die Comedian Harmonists, Richard Tauber und Peter Alexander, und wir hören sie noch heute. Babys werden permanent geküsst, Bartträger, Bardamen und Banausen etwas seltener. Alte Damen

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