Am Sonntag stirbt Alison
Tisch lag, schnupperte an ihrem Hosenbein und knurrte leise.
»Frau McKinley«, Lys räusperte sich, »wir hätten da eine Frage.«
Beate McKinley setzte sich und starrte in ihre Kaffeetasse. »Ja?«, murmelte sie abwesend.
»Hat Julia Sommer Ihren Mann am Samstag eigentlich erreicht?«
Sie riss sich vom Anblick der Kaffeetasse los. »Julia Sommer? Wer ist das?«
»Eine Bekannte«, sagte Leo. »Sie wollte Ihren Mann am Samstag informieren, dass Alison in den letzten Jahren in München gelebt hat.«
Beate McKinleys Blick war verwirrt. »Nein. Das hat uns erst am Sonntag dieser Polizist gesagt.«
»Ist es nicht möglich, dass Ihr Mann den Anruf bekommen hat, als Sie gerade nicht da waren?«, hakte Lys nach.
»Nein. Das ist unmöglich.« Der Blick der Frau war wieder auf die Tasse gerichtet, sie begann, heftig darin herumzurühren.
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich. Wir saßen den ganzen Tag ums Telefon herum, weil wir darauf warteten, dass diese Entführer sich wieder melden würden. Wir haben den Raum nur verlassen, um auf die Toilette zu gehen, und das Telefon ist so laut, dass man es auch dort hört. Die Einzigen, die an diesem Tag angerufen haben, waren die Leute von der Polizei und du.«
»Frau McKinley«, begann Sebastian, »haben die Entführer irgendetwas von Alisons Familie in Mexiko gesagt? Haben sie Ihnen vielleicht vorgeschlagen, dass Sie sich das Geld von dort holen sollten?«
Die rührende Hand erstarrte mitten in der Bewegung. Beate McKinley sah auf, ihre Augen waren geweitet. »Wie… wie kommt ihr auf Alisons Verwandte?«, stotterte sie.
»Das heißt, die Entführer haben nach ihnen gefragt?«, stellte Sibel fest.
»N…n…nein, niemand hat nach Alisons Verwandten gefragt. Wir kennen die Leute doch gar nicht. Wir haben weder einen Namen noch eine Adresse.« Sie stand auf, ging wieder zur Küchenzeile und fuhrwerkte nervös an der Kaffeemaschine herum. Lys beobachtete sie. Wieso war sie so nervös? Die Frau log, so viel war sicher. »Frau McKinley«, sagte sie, »haben Sie vielleicht noch irgendwelche Sachen von Alisons Mutter?«
Beate McKinley drehte sich um. »Nicht viel. Nur ein paar Briefe, glaube ich«, sagte sie.
»Könnten wir die vielleicht mal sehen?«
Frau McKinley zögerte. Dann zuckte sie mit den Achseln. »Warum nicht?«, meinte sie dann und hastete aus der Küche.
»Was willst du denn mit dem Krempel von Alisons Mutter?«, fragte Sibel.
»Alison hat doch gesagt, dass sie und ihre Mutter bedroht wurden, nicht wahr? Wenn es nicht McKinley war, wer dann? Vielleicht steht in diesen Briefen ja etwas dazu. Außerdem ist es doch möglich, dass der Kerl, der sie bedroht hat, auch etwas mit der Entführung zu tun hat.«
»Wenn du meinst…« Sibel wirkte nicht sonderlich überzeugt.
»Auf jeden Fall hast du dich wirklich getäuscht, was die Sache mit dem Anruf betrifft«, meinte Leo. »Julia hat McKinley gar nicht angerufen. Sonst hätte es seine Frau ja wohl mitbekommen.«
»Verdammt, die McKinley lügt!«, zischte Lys. »Ich weiß nicht, warum, aber was diese mexikanische Verwandtschaft angeht, sagt sie nicht die Wahrheit!«
»Warum sollte sie denn lügen? Wenn es den Entführern wirklich darum geht, Geld von einem reichen Onkel in Mexiko zu erpressen, warum sollte sie ein Geheimnis daraus machen?«, fragte Sibel kopfschüttelnd.
»Psst«, murmelte Lys.
Frau McKinley kam herein und legte einen großen braunen Umschlag auf dem Tisch, der randvoll mit Briefen und Postkarten war. »Ich… telefoniere solange«, murmelte sie und verschwand hastig im Nebenzimmer.
»Na, da sind wir beschäftigt«, grummelte Sebastian und sah mit gerunzelter Stirn auf die Massen von Briefen.
»Mecker nicht, du musst ja nicht mitmachen«, schimpfte Lys und schüttete den Inhalt des Umschlags auf den Tisch.
Größtenteils handelte es sich um Postkarten, die Alison von Schulausflügen geschrieben hatte, die älteren auf Spanisch, die neueren auf Deutsch. Daneben gab es einige lange Briefe auf Spanisch mit mexikanischem Poststempel. Leo, der etwas Spanisch konnte, meinte, es seien wohl Briefe, die Alisons Mutter von Freundinnen und Verwandten bekommen hatte, doch sie waren alle uralt und noch in der Zeit geschrieben worden, als sie in Mexiko lebte. Schließlich fanden sie noch ein paar alte Briefe von Jack McKinley an seine Exfrau, doch auch in denen konnten sie keinen Hinweis auf eine Bedrohung finden.
»He. Schaut mal.« Leo hob eine Postkarte hoch. Sie zeigte eine Ansicht von Venedig: der
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