Am Sonntag stirbt Alison
Ich dachte, alles wäre gut. Und jetzt ist alles viel schlimmer als vorher!«
Marco Schreiber sah immer noch ganz durcheinander aus. »Verrückt«, sagte er tonlos. Dann wandte er sich wieder an Leo und fragte: »Hast du in letzter Zeit etwas von Alex gehört?«
Leo nickte langsam. »Du weißt, dass er einen Unfall hatte?«
»Ob ich das weiß? Ich hatte Dienst auf der Neurologie in der Nacht, als sie ihn eingeliefert haben! Ich war bei der Hirnoperation dabei!« Marco holte angestrengt Luft. »Wie geht’s ihm denn?«
»Er liegt im Wachkoma«, sagte Leo leise.
»Natürlich! Das war ja zu erwarten! Gott, es ist eine Schande, was da passiert ist!«
»Ja. Es ist so traurig«, murmelte Leo.
»Traurig? Eine Sauerei ist das!« Der junge Mediziner redete sich sichtlich in Rage. »Verklagen sollte man diese Leute!«
»Was für Leute? War denn noch jemand an dem Unfall beteiligt?«, fragte Leo.
»Ich meine seine Verwandten!«, erklärte Marco Schreiber.
»Wieso das denn?«, fragte Leo verwirrt.
»Alex’ Zustand war sehr schlecht, klar. Schädelbruch, Hirnblutung, Milzriss, die Wirbelsäule zweimal gebrochen. Aber ich habe schon Leute mit schlimmeren Verletzungen gesehen, die man durch eine Reha in einem spezialisierten Zentrum wieder hinbekommen hat. Ich habe mich damals persönlich hingesetzt und einen Antrag geschrieben, dass er in eine der besten neurologischen Rehakliniken von Deutschland kommt, und das ist auch anstandslos durchgegangen. Und dann erklärt mir sein Vater, nein, kein Interesse, er will seinen Sohn lieber in so eine Schickimicki-Klinik in der Schweiz schicken. Ich habe mich informiert – das ist eine Klinik, die mit Hirnverletzungen nicht das Geringste am Hut hat, wo die Reichen und Schönen hingehen, um Diät zu machen oder ihren verspannten Nacken massieren zu lassen. Ich habe ihm ganz klar gesagt, dass er seinem Sohn jede Chance nimmt, wieder halbwegs gesund zu werden, wenn er ihn in so ein besseres Wellness-Hotel schickt anstatt in eine vernünftige Reha. Aber er hat mir nur gesagt, ich solle mich nicht einmischen, das sei ja wohl seine Sache!« Marco Schreiber war vor Wut dunkelrot geworden. »Na ja, von Wolfgang Berghäuser ist ja wohl auch nichts anderes zu erwarten. Dieser Vollidiot! Macht erst Pleite mit seinem bescheuerten Hotel, und kaum hat er auch nur wieder einen Zeh auf dem Boden, hält er sich dermaßen für was Besseres, dass er seinen Sohn lieber in einer Promiklinik vor sich hinsiechen lässt, statt dass er unter Normalsterblichen wieder auf die Beine kommt! Ich hoffe echt, dass es stimmt, was man hört, und sein neues Hotel auch bald in Konkurs geht!«
»Das ist überhaupt nicht wahr«, mischte Lys sich jetzt ein. »Das ist nur ein Gerücht, das sein Konkurrent, dieser Löber, in Umlauf gebracht hat.«
»Quatsch! Das hat mit Löber überhaupt nichts zu tun. Das weiß ich von einem Kumpel, der in Berghäusers Hotel gearbeitet und ziemlich schnell wieder gekündigt hat, nachdem Berghäuser ihm drei Monate lang keinen Lohn zahlen konnte!«, erklärte Marco Schreiber heftig.
Leo sah elend aus. »Du glaubst also wirklich, es könnte Alex besser gehen, wenn er diese Reha gemacht hätte?«, fragte er und seine Stimme war jetzt nicht viel mehr als ein Krächzen.
»Ja, das glaube ich. Alex’ Verletzungen waren schwer und er hätte auch bei einer anderen Behandlung sicher nie wieder laufen können. Aber was den Hirnschaden betraf, da bestand wirklich Hoffnung, dass er sich wieder erholt, bei jungen Menschen gibt es das oft. Jetzt ist es vermutlich zu spät! Ein Verbrechen ist das!« Der Alarm in seiner Kitteltasche gab ein drängendes Piepen von sich und Marco Schreiber zuckte mit den Achseln. »Ich muss los. Die Arbeit ruft. Mach’s gut, Leo, komm doch noch mal vorbei, solange du in der Gegend bist, vielleicht habe ich dann etwas mehr Zeit!« Er winkte kurz und lief den Gang hinunter.
Leo stand starr wie ein Standbild neben den Plastikstühlen, das Gesicht leer wie bei einem Schlafwandler.
Lys steckte sich zwei Tabletten Ibuprofen in den Mund. »Kommt schon«, sagte sie. »Fahren wir zu den McKinleys.«
***
Die Tasse klapperte, als Frau McKinley sie auf der Untertasse absetzte, etwas Cappuccino schwappte über den Rand und bildete eine braune Pfütze auf dem Teller. Rasch zog sie ihre bebenden Hände zurück. »Wenn ihr… wenn ihr noch mehr Zucker wollt…« Sie hastete zur Küchenzeile, griff nach einer Zuckerdose und platzierte sie auf dem Tisch. Özil, der unter dem
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