Am Sonntag stirbt Alison
scheint er mal zu kapieren, dass die Lage ernst ist«, sagte sie. »Ich habe ihm gesagt, was wir vorhaben, wo wir hinfahren und so weiter. Er erzählt alles meinem Vater. Vielleicht kann der uns ja Hilfe organisieren.«
Sebastian prustete los und stöhnte gleichzeitig vor Schmerz auf. »Bei der türkischen Botschaft oder was?«
Sibel überhörte seinen Einwand. »Was genau hast du eigentlich vor, Leo?«, fragte sie nach vorne. »Willst du ins Hotel rennen und brüllen: Rückt Alison raus, aber ein bisschen plötzlich?«
»Sie ist bestimmt nicht im Hotel«, sagte Leo durch seine zusammengequetschten Zähne. »Niemand versteckt ein Entführungsopfer in einem Hotel, die Gefahr, dass ein Gast etwas bemerkt, ist viel zu groß.«
»Wo fährst du dann bitte hin?«, fragte Sibel. Am Fenster schoss die Abfahrt nach Andernach vorbei.
»Zu dem Haus, wo sie wohnen. Das Haus oberhalb des Hotels.«
»Oh. War das nicht das Gebäude, das von einem bissigen Rottweiler und einem bewaffneten Norman Bates bewacht wird? Super Idee, wirklich!«, fauchte Sibel.
»Wie Lys gesagt hat, wir haben keine Zeit zu verlieren!«, stieß Leo hervor.
»Nö. Nur unser Leben«, stellte Sibel nüchtern fest.
Leo schlug mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Dann schrie er Sibel an: »Du kannst hier und jetzt sofort aussteigen, wenn du möchtest. Ich fahre die nächste Ausfahrt runter und dann kannst du sehen, wie du weiterkommst. Ich zwinge niemanden mitzukommen, der ohnehin nicht kapiert, wie ernst die Lage ist.«
»Ist ja schon gut«, murmelte Sibel.
»O.k., dann halt dich endlich mit deinen bescheuerten Kommentaren zurück.« Leo gab wieder mehr Gas.
Lys starrte nach draußen. Ihr Herz raste jetzt, ihr Zahnfleisch kribbelte, sie fühlte sich wie früher in der Kabine vor einem wichtigen Spiel. Nervös, überdreht und gleichzeitig hellwach.
Draußen kam das Ortsschild von Mayen in den Lichtkegel der Scheinwerfer. Leo wurde nur unwesentlich langsamer. Er bog nach rechts ab, bremste. Der Transporter kam vor einem niedrigen Gebäude zu stehen. Sibel linste zum Fenster hinaus. »Das ist der Bahnhof«, erkannte sie.
»Steigt aus«, befahl Leo. Seine Stimme klang, als habe er eine akute Mandelentzündung.
»Wieso?«, fragte Lys erstaunt.
»O.k., o.k.«, sagte Sibel hastig. »Ich hab’s ja kapiert. Ich sage keinen Ton mehr.«
»Ihr habt recht. Es ist viel zu gefährlich«, sagte Leo.
»Ja – und was machen wir dann jetzt?«, fragte Lys.
»Ihr setzt euch in den nächsten Zug und fahrt nach Koblenz. Vielleicht könnt ihr dort ja doch noch Hilfe holen.«
»Ihr? Und was machst du?«
»Ich fahre zum Hotel.«
Für ein paar Sekunden herrschte fassungsloses Schweigen. Dann sagte Lys: »Du spinnst wohl.«
»Ich werde nicht euer Leben in Gefahr bringen!«, stieß Leo hervor. »Ihr seid immerhin noch – Kinder.«
»Wie bitte?«, rief Sibel empört aus.
»Hör mal, was Sebastian vorhin gemeint hat, macht echt Sinn«, versuchte Lys zu argumentieren. »Wenn du alleine da aufkreuzt, kommen die vielleicht wirklich auf die Idee, dass sie das Problem am einfachsten lösen können, indem sie dich auch umbringen. Aber uns alle vier? So etwas macht doch keiner.«
»Was macht dich da so sicher?«, fragte Leo in einer beängstigenden Ruhe.
»Vergiss es«, murmelte Sebastian auf der Rückbank. »Wir lassen dich nicht alleine dorthin fahren.«
»Ja, du wirst mir eine besonders große Hilfe sein, du kannst ja kaum noch gerade stehen!«, sagte Leo heftig.
»Leo, wenn du uns loswerden willst, dann musst du uns einzeln aus dem Wagen tragen«, sagte Lys. »Und das möchte ich mal sehen.«
»Oh ja, ich auch«, spottete Sibel und drückte demonstrativ den Türschließer nach unten.
Leo rang nach Luft, stieß die Fahrertür auf und stieg aus. Lys sah, dass er nach hinten lief, und erwartete in der Tat, dass er die Seitentür öffnen und versuchen würde, Sebastian nach draußen zu zerren, doch stattdessen rannte er ganz nach hinten und riss die Heckklappe auf. Auf der Transporterfläche rumpelte und knirschte es.
»Was bitte soll das jetzt?«, fragte Sibel erstaunt.
Lys kletterte nach draußen und lief ebenfalls nach hinten. Leo hatte den Motorroller aus dem Laderaum gezerrt und stellte ihn gerade am Fahrbahnrand ab. »Was wird das?«, fragte sie ärgerlich.
Leo lief zum Transporter zurück, hantierte unter dem Lenkrad herum. Ein lautes Knacken ertönte. Er lief nach vorn und klappte die Motorhaube auf.
»Leo, was soll das?«, rief Lys.
Leo fluchte, als
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