Am Strand von Acapulco
merkwürdige Situation! Wer hätte gedacht, dass der Abend so enden würde?
In der ungewohnten Gästezimmerumgebung erwachte Ruth früher als üblich, so dass es erst kurz nach acht. Uhr war, als sie aufstand. Einen Augenblick überlegte sie, was sie über das kurze Nachthemd anzie hen sollte. Ihr Morgenmantel hing noch in ihrem Zimmer, und sie wollte Patrick nicht aufwecken. Vielleicht tat es ja ein Pullover ihres Vaters. Rasch ging sie hinüber in sein Zimmer und wählte einen mit V-Ausschnitt, der ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Dann ging sie in die Küche hinunter, setzte den Kessel auf und warf einen Blick in die Sonntagszeitung, bis das Wasser kochte.
Sie goss gerade Tee auf, als ein Geräusch sie veranlasste, sich umzudrehen. Patrick stand auf der Türschwelle, war natürlich unrasiert und hatte lässig eine Hand in die Hosentasche gescho ben.
„Möchtest du ...?" Ruth räusperte sich. „Trinkst du mit mir eine Tasse Tee?"
„Gern! Aber wenn du vorher noch eine Kopfschmerztablette für mich hättest? Ich habe einen furchtbaren Brummschädel."
Ruth nickte und ging zum Arzneimittelschränkchen in der Speisekammer. „Mrs.
Lawson ist immer auf alles vorbereitet", sagte sie beim Zurückkommen. „Die Tabletten müssen übrigens gekaut werden." Sie drückte ihm die Schachtel in die Hand und kümmerte sich wieder um den Tee. „Trinkst du deinen mit Zucker?"
„Ja, zwei flache Teelöffel, bitte." Inzwischen lehnte Patrick mit dem Ellbogen am Türrahmen, rieb sich den Nacken und sah sie ganz merkwürdig an.
Worüber denkt er wohl nach? überlegte Ruth und fragte dann stockend: „Wollen ...
Wollen wir den Tee hier trinken, oder sollen wir nach oben gehen?"
„Wenn es dir hier unten nicht zu kalt ist?" Patrick sah auf ihre bloßen Beine, und Ruth errötete.
„Natürlich nicht!" Sie nahm auf einem der rustikalen Stühle am Tisch Platz und forderte Patrick auf, sich zu ihr zu setzen. Aber er blieb lieber stehen und fing schließlich sogar an, in der Küche auf und ab zu gehen. Dabei besah er sich hier ein Marme ladenglas und dort eine Konservenbüchse, als gäbe es so etwas in Venezuela nicht. Schließlich baute er sich vor Ruth auf und fragte mit durchdringendem Blick: „Wie kannst du nur so dasitzen, als wäre überhaupt nichts geschehen?"
Ruth räusperte sich, stellte ihre Tasse auf den Küchentisch und funkelte Patrick an.
„Wie bitte?"
Er schnitt ein Gesicht, bevor er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß:
„Ruth, bitte hör auf, so überheblich zu tun!" Mit den Händen stützte er sich auf den Küchentisch neben sie. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ..."
„Wovon redest du überhaupt?" Ruth schüttelte den Kopf, stand auf und trug ihre Tasse zur Spüle. Insgeheim beglückwünschte sie sich dabei, dass sie gestern Abend ihrem Wunsch, Patrick aufzuwecken, nicht nachgegeben hatte. Denn jetzt sprach er wieder genauso in Rätseln wie sonst.
In diesem Augenblick packte er sie bei den Schultern und drehte sie zu sich um.
„Natürlich weißt du, wovon ich rede, oder machst du das so oft, dass es am nächsten Morgen nichts Besonderes mehr für dich ist?"
Ruth zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete sein abweisendes Gesicht. Hatte dieser Mann sie gestern Abend tatsächlich im Arm gehalten, geküsst und es gar nicht erwarten können, mit ihr zu schlafen? Ließ sich das alles dem Alkohol zuschreiben?
Und warum war er eigentlich so ärgerlich? Das käme doch wohl eher ihr zu.
Schließlich hatte er ihr mitten in der Nacht aufgelauert, sie angemacht und war dann einfach eingeschlafen. Das ergab doch alles keinen Sinn. Irgendwie hatte sie inzwischen auch genug von seinem ewigen Hin und Her und erklärte ruhig: „Wenn du deinen Tee getrunken hast, gehst du wohl besser. Mrs. Lawson kommt bald zurück, um das Mittagessen vorzubereiten. Ich möchte nicht, dass sie dich hier sieht."
Patrick ballte die Hände zu Fäusten. „Schon in Ordnung, ich bin weg. " Kopfschüttelnd fügte er hinzu: „Und auch wenn du keine Entschuldigung von mir erwartest, möchte ich anmerken, dass es mir Leid tut."
„Wofür willst du dich denn entschuldigen?" Verwundert sah Ruth ihn an, und plötzlich begriff sie, was Patrick ihr die ganze Zeit zu sagen versuchte. Er hatte die Nacht hier verbracht und war in ihrem Bett aufgewacht. Er hatte sie halb angezogen in der Küche vorgefunden, wusste womöglich nur noch, dass er weit nach Mitternacht hier aufgetaucht war, und dachte jetzt, sie
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