Amarilis (German Edition)
Dunkelheit hätte bevorzugen
können. Es schien zunächst nicht evedent mit der Entwicklungsrichtung des
Gewächses zusammenzuhängen.
An dieser Stelle griff Professor Ambros auf die Entdeckung
der Rotationsbeschleunigung und der damit verbundenen reduzierten Drehimpulsabgabe
zurück. Vor allem die Intensivierung der Nächte durch den Mond konnte einen Einfluß
auf die Pflanze und den allmählichen Umstieg auf eine andere
Energieverarbeitung und Luft-Wasserstoffumsetzung bewirkt haben.
Hinzu kam die sich bis ins Eozän ausbreitende vulkanische
Tätigkeit, die sich innerhalb von 50 Millionen Jahren vor allem im
atlantischen, heutigen Ostseeraum konzentrierte. Diese beiden Faktoren und als
dritter das Abtauchen in geosynklinale Mulden, die sich ebenso zufällig in der
damaligen Zeit aufgrund magnetischer Konvexion bildeten, gewährten den Übergang
der Pflanze in das Reich der Höhlen und unterirdischen Schächte.
Zusätzlich unterstützte der Staubgürtel des
Meteoritenaufpralls die allmähliche Gewöhnung an die Dunkelheit des
unterirdischen Klimas. Der Umstand, dass der Meteorit selbst noch nicht in
Norddeutschland gefunden werden konnte, mochte seine Erklärung im
gleichzeitigen Abgleiten in der Mulde finden. In jedem Fall galt es als
wahrscheinlich, dass sein Niedergehen auf die Erde mehrere Auswirkungen hatte,
die sich alle in ihrer Summe zu einer Veränderung der Pflanze ergänzten.
Ein weitergehendes, viel diskutiertes Thema war Steffs
Erwägung, dass der Mond nicht nur einen Einfluß auf die Pflanze gehabt haben
konnte, sondern auch auf die Fauna dieses Gebietes. »Warum sollte zum Beispiel
nicht die inzwischen ermittelte Gattung der Saurier, das Iguanodon, ebenso
einer Auswirkung des nächtlich intensiveren Scheines erlegen sein?« fragte er
herausfordernd. »Bei uns Menschen ist der Somnambulismus, die schlafwandlerische
Reaktion unserer Psyche auf den Mond, durchaus bekannt und als ein Untergebiet
der Astropsychologie erforscht.« Er blickte scharf um sich. »Ein Tier hat
genauso eine Seele wie wir Menschen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, was die
verstärkte Mondpotenz im Beziehungsgeflecht der damaligen Tiere vielleicht zu
erzielen vermochte.«
Auch die anderen konnten die Möglichkeit nicht von sich
weisen, dass das Iguanodon der Wirkung der helleren Nächte unterlegen haben und
von ihnen beeinflußt worden sein könnte. Der Somnambulismus war im 21. Jahrhundert
eine anerkannte Größe und diente unter anderem diversen Schlafstörungen als
Erklärung. Vor allem war die Beziehung der Traumintensität und womöglich auch
ihrer Inhalte zum Mond nicht mehr zu leugnen. Weiterhin galt sein Einfluß auf
die Menstruation und auch die sexuelle Bereitschaft der Frau als Tatsache.
Unter diesem Aspekt wurde sogar ein Vergleich mit dem Organismus der weiblichen
Fauna gezogen. Mensch und Tier waren gleichermaßen den Bedingungen kosmischer
Kräfte unterworfen.
Ernest McMurphy, ein schottischer Zoologe, stellte die
grundsätzliche These in den Raum: »Kann es nicht nur als möglich, sondern als
äußerst wahrscheinlich gelten, dass das Iguanodon sich gerade durch diesen Somnambulismus
die Fähigkeit erwarb, in die Dunkelheit der unterirdischen Gänge
hinabzusteigen, um der Pflanze zu folgen, indem es sich aufgrund des fehlenden
Sonnenlichts blind zu orientieren lernte?«
Dieser Ansicht wurde allgemein zugestimmt, und Steff war
letztlich mit dem Ablauf der Gespräche und Analysen zufrieden. Zusammen mit
Erskin hatte er dessen Redebeitrag ausgearbeitet, wobei sie sich im wesentlichen
auf den Nachuntersuchungen, Interpretationen und dem Zurateziehen anderer
wissenschaftlicher Fachgebiete gestützt hatten.
Am Ende der Sitzung verabschiedete sich John Cavanac von den
anderen, da er noch am selben Tag nach Hamburg fliegen wollte, um die dort
anlaufenden Landuntersuchungen zu konzentrieren und zu organisieren. Denn der
ehemalige Standort der Pflanze war noch nicht genau lokalisiert.
Als die Konferenz beendet war, rief Steff Meika an und traf
sich mit ihr vor der Mensa der Universität. Sie stiegen beide in den dortigen
Bus und fuhren über den Kudamm nach Dahlem. Um diese Abendzeit war die City
Berlins überfüllt, da die meisten gerade von der Arbeit kamen. Der Fahrer hatte
vor allem darauf zu achten, dass er durch den Strom der die Straße
überquerenden Passanten gelangte, weil sonst nur wenige Autos auf dem Boden
fuhren. Lediglich mehrere Lieferwagen und ein
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