Amarilis (German Edition)
»An eine Galaxie grenzt eine andere und so fort.
Diese Tatsache geht aber nicht unendlich weiter. Wenn du dich nur an unsere
Erdkugel erinnerst. Drehst du sie, dann wirst du irgendwann wieder zum
Ausgangspunkt zurückkommen. Alle Kontinente reihen sich nur soweit aneinander,
bis sie wieder selbst erscheinen.«
Steff blickte ihn ungläubig an. »Willst du damit sagen, dass
das Universum eine Kugel ist?«
»Nein, natürlich nicht«, räumte der Elementarphysiker ein,
»eine Kugel hat ganz klare räumliche Abgrenzungen. So einfach ist es mit dem Kosmos
nicht.« Seine linke Hand zitterte einwenig, als er mit dem Stab auf das Gebilde
eines Spiralnebels zeigte.
»Fängst du bei dieser Galaxie an und gehst die Reihen aller
durch, wirst du wieder auf sie stoßen. Ebenso, wenn du in der anderen Richtung
suchst, wie nach unten und nach oben. Alle Richtungen, die du verfolgst, führen
dich stets wieder zum Ausgangspunkt deiner Galaxis zurück. Das All ist keine
Kugel, kein Rhombus oder Parallelogramm. Es ist wie das Koordinatensystem,
dessen Unendlichkeit durch die Raumkrümmungen wieder auf der anderen Seite erscheint,
dieses Gesetz der Mathematik ist ursprünglich ein physikalisches, Steff. Es ist
kein Kreislauf, sondern eine ständige Wiederholung.«
Mit großen Augen lauschte Steff den Ausführungen von Roggini.
Mit geradezu wilden Gesten hatte dieser ihm anfänglich seine Theorie eines unendlich
begrenzten Kosmos dargelegt. Aber Steff war auch nicht der seelische Konflikt
entgangen, der dabei in ihm gärte.
»Heißt das dann etwa, dass wir immer wieder vorkommen, ja vielleicht,
dass es uns tausendfach gibt? Bin ich vorhanden, und eine Kopie von mir Billiarden
von Lichtjahren noch einmal und so weiter ... Oder bin ich gar dessen Abbild
selber?« Voller Zweifel sah er Angelo an. Bei diesen Gedanken konnte man schier
verrückt werden.
»Das nun auch wieder nicht, Steff.« Der Italiener wollte ihn
beruhigen und fügte dennoch fanatisch hinzu: »Es gibt dich nur einmal, du bist
und bleibst individuell! Nur - flöge einer unendlich weit durch den Kosmos ohne
anzuhalten, stets geradeaus - dann würde er dir zwangsläufig immer wieder
begegnen.«
»Aber das wäre dann doch eine Kreislinie. So was gibt es nur
bei einer Kugel.« Steff konnte oder wollte ihn nicht verstehen.
»Nein, keine Kugel!« Angelo Roggini strich sich über das
schweißnasse Gesicht. Sein Herz begann wieder zu klopfen, und der Druck seines
Blutes presste ihm die Kehle zusammen. Wie rasend fühlte er seine Schläfen vibrieren.
»Das Weltall ist wie eine Maschine, die in eine Richtung fliegt, um aus der
anderen wieder aufzutauchen, verstehst du?« Mit weißen Knöcheln umklammerte er
den Zeigestock. »Versuche bitte zu verstehen.« Eindringlich und irgendwie
verzweifelt ballte er die Hände, machte eine Pause und sah Steff an. »Wo du die
Wahrheit erkennst, da ist auch Hoffnung!« Angespannt hielt er den Atem für
mehrere Sekunden an und stierte wie besessen auf die illuminierte Projektion.
»Es ist eine ständige Wiederholung aus Materie und Raum, nur der Mensch ...
Wir, wir sind einmalig!«
Seine Augen sprühten Funken, als er die letzten Worte
herausstieß. Immer wieder wies er mit dem Stab auf die schillernden Bildpunkte.
»Der Kosmos tut dies ohne Verstand, einzig, weil er den Gesetzen gehorcht. Der
Mensch ...« Er begann nun mit dem Stock mehrere Male unbeherrscht auf den Boden
zu klopfen. »Der Mensch aber kann alles nur einmal tun, denn er verändert. Weil
er mit seinem Verstand handelt.«
Steff sah, wie bei Angelo plötzlich ein Tick am rechten Auge
einsetzte. In den Tiefen seines Unterbewusstseins erinnerte er sich an etwas,
das Meika ihm einmal gesagt hatte. Etwas, das eine schwere Bedeutung in sich
trug.
Zum wiederholten Male pochte der Italiener mit dem Zeigestab
auf den Boden. Klick, klick, klick. Dreimal. Steff schaute in das nun unaufhörlich
zuckende Gesicht vor ihm. Langsam begann sich eine Erinnerung zu formen.
Klick, klick, klick ...
»Der Padrino!« brach es aus ihm heraus, und trotz seines
aufkommenden Entsetzens entging ihm nicht die Veränderung im Gesicht von Angelo
Roggini. Dieser verstummte abrupt, und aus seinen Wangen entwich jegliches
Blut. Mit einer Schnelligkeit, die Steff am Rande seiner Auffassungsgabe ein
kurzes Bewundern abverlangte, aber hatte er sich gefangen und wieder unter
Kontrolle.
Mit kaltem, eisigen Blick starrte der Padrino zu ihm
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