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Amarilis (German Edition)

Amarilis (German Edition)

Titel: Amarilis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Kempas
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weiterhin keinen konkreten
Eindruck erhielt.
       Mata-Hele kam hinzu und verbesserte die Spektrallinien und die
Anordnung der Spiegel zueinander. Dann wies er mit einer unbedeutenden Geste
erneut auf den Bildschirm. Steff schaute hoch. Vor ihm lag Gondwana.
       Für eine lange Zeit brachte er kein Wort heraus. Die anderen
vor der Tür lauschten auf jede seiner Bemerkungen, doch Worte wollten ihm nicht
gelingen. Seine Stimmbänder waren wie schwere Ketten. Trocken schluckte er, um
den Gaumen zu befeuchten. Schweiß rann ihm die Stirn herab und sammelte sich an
den Haaransätzen neben den Ohren. Dann versuchte er erneut, seine Zunge zu
bewegen. Immer wieder schien er auf sie zu beißen.
       »Oha«, war aber alles, was er herauskam. Hastig wischte er
sich über die Schläfe. Seine Augen brannten, weil er immer noch wie gebannt auf
den Bildschirm starrte.
       Vor ihm flimmerte die Erde. In hellen, fast schon schillernden
Farben, die durch den thermischen Verstärker hervorgerufen wurden, faltete sich
der diffuse Nebel eines Staubgürtels aus. Dahinter erstreckten sich die
Landmassen Europas, Afrikas und Asiens. Wie ein einziger Kontinent. Blaugrün
vom Meer umrahmt. Weitere braune und grünliche Flächen bildeten die üppige
Vegetation der damaligen Zeit beziehungsweise den nackten Fels der Berge.
       Dann betätigte Mata-Hele erneut einige Schalter, und mit
einem Male fuhren sie dichter an die Erde heran, bis sie nur noch einen Teil
des europäischen Festlandsockels vor sich hatten. Vor 60 Millionen Jahren lag
es in den damaligen Subtropen und war zum Teil von Wasser bedeckt. Muscheln und
Korallen lagerten sich ab und verdichteten sich zu Kalkstein. Der atlantische Ozean
entstand gerade und teilte Europa von Nordamerika. Unterseeische Magmaeruptionen
verdrängten ein grosses Wasservolumen, so dass der Meeresspiegel 300 m höher
lag als heute. Zudem erwärmte das CO 2 aus den Vulkanausbrüchen die Atmosphäre,
so dass die polaren Eismassen schmolzen. Europa war ein Inselreich. Hellgrau
blinkten die weiten Ebenen des Schelfeises, und etwas unscharf vom Meer
abgegrenzt konnte er die verbundene Landmasse von England und Frankreich
erkennen. Darüber schimmerten kleine, rote Punkte, die wie Derwische umeinander
zu tanzen schienen.
       Mata-Hele zeigte darauf. »Das sind die bi-3 Positronen, die
von der Chemopflanze emittiert werden. Ihre scheinbar für uns sichtbare Bewegung
kommt durch das Aufblinken zustande, wenn sie auf ein anderes Atom prallen.
Ihre Lichtblitze werden dann als rote Punkte umgesetzt.«
       Gebannt beobachtete Steff das Gebiet, über dem die roten
Punkte wie Nadelstiche aufleuchteten. Es musste an der Küste Westeuropas
liegen. Aber er wusste, dass ihre Lage in der Stratosphäre keine Garantie für
ihren Ursprung war.
       »Wann ist dieses Bild aufgenommen ... Ich mein, in welche
Zeit kann ich die Erde gerade sehen?« Ihm wurde bewusst, dass er sich noch an
einige Gedankensprünge gewöhnen mußte.
       »Was Sie hier sehen, ist eine Aufnahme der Erde vor
64.304.651 Jahren, der Zeitraum, den das Licht bis hierher braucht«, gab
Mata-Hele zur Antwort. »Um genau zu sein, es muss dort Mittag sein, da wir
gegen Abend einen größeren Teil Ostasiens im Ausschnitt haben.«
       Steff stand auf, um John und den anderen Kollegen ebenso
einen Einblick zu gewähren. Aus dem Korridor hörte er Kip irgendetwas rufen,
aber er war nicht in der Lage, darauf zu reagieren. ‚Sollte ich eine Paralyse haben?’
fragte er sich. ‚So etwas wie einen Kulturschock? Oder lag es an dem ungewohnten
Flimmern des Bildschirms?’ Er merkte, wie ihm die Knie weich wurden, und er
setzte sich in einen Sessel.
       Neben sich hörte er John dumpf aufstöhnen. ‚Das kommt nicht
vom Flimmern’, dachte er und strich sich matt über die Stirn. Klebrig fühlte er
seine Handfläche an der Wange und wischte sie am Hosensaum ab. Als auch John
fertig war, machten sie den anderen Platz. Ravishnari, Kip und Maurin stürmten
mehr als das sie gingen ins Zimmer. Draußen lehnte er sich an die kühle Wand
und blickte John fragend an.
       »Ungeheuerlich«, brummte dieser, und sein rotblonder Schopf
stand ihm steil nach allen Seiten ab. Verwirrt strich er sich über die Haare.
»Ich glaube, dass ich wohl innerlich bis jetzt daran gezweifelt haben muss. Obwohl
ich wahrlich nicht der erste Mensch bin, der das gesehen hat.«
       Mit großen Augen schaute er zu Steff herüber. Dieser nickte
langsam und schien sich wie im Schlaf

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