Amber Rain
ausgefransten Stück Übungsseil einen Knoten an i h rem Oberarm zu fixieren. Der Knoten war nicht da, als sie z u sammenbrach, das weiß ich aus der Krankenakte, sie hätten das vermerkt. Amber war verletzlich, sobald sie dieses verdammte Stück Seil nicht am Körper trug.
Ich fühle mich stärker, wenn ich das Halsband bei mir habe. Es ist wie ein Anker. Wie die Bestätigung, dass es die richtige Entscheidung war, Amber auf diese unorthodoxe Art aus ihrer Isolation herauszuholen. Sie war bereit für mich gewesen, wol l te sich mir schenken, ganz. Als ich sie im Stich ließ, habe ich uns beide zerstört.
Feiglinge sind widerlich. Ich bin der größte von ihnen.
Mein Handy klingelt. Ich sehe zur Uhr. Ich bin spät dran, die Anhörung sollte dreizehn Uhr beginnen, es ist viertel nach. Ich erwäge, den Anruf auf die Mailbox laufen zu lassen, aber dann erkenne ich Georges Telefonnummer im Display.
„Holloway.“
„Wir machen es“, sagt er.
„Was?“
„Ich habe in Nottingham zugesagt. Der Veranstalter ist ek s tatisch, dass du dort performen wirst. Wenn sich das ru m spricht, wird …“
„George …“ Ich presse meine Nasenwurzel zwischen Da u men und Zeigefinger zusammen, um den stechenden Kop f schmerz einzudämmen, der zusammen mit einem grellen Blitz in meinen Schädel fährt. „Es ist was dazwischen gekommen.“ Untertreibung des Jahrhunderts.
„Nein. Hey, Mann, das akzeptiere ich jetzt nicht. Du hast g e sagt, du machst das. Ich habe fest zugesagt. Du kannst mir das nicht antun, Mann, wie steh ich denn da?“
„Amber ist … sie steht nicht länger zur Verfügung.“
„Sie ist doch sowieso die Schwachstelle in dem ganzen A r rangement gewesen. Crispin. Hör zu, ich besorg dir ein anderes Model. Ein perfektes Model. Eine, die weiß, was sie tut. Dich können wir nicht ersetzen, aber Amber schon.“
„Nein!“, meine Stimme ist zu laut und zu vehement, sodass eine Frau, deren klappernde Absätze vor mir her tönen, bein a he einen Satz macht und sich dann anklagend zu mir umdreht. „Nein, Amber kann nicht ersetzt werden. Sag ab. Die Perfo r mance findet nicht statt.“ Ich drücke das Gespräch weg, in mir brodelt es. Was erlaubt sich der Kerl? Er weiß, was Amber mir bedeutet. Ich werde einen anderen Club finden. Ich brauche keine Menschen in meinem Leben, die mir jeden Monat ho r rende Summen abbuchen und dann meinen, mir sagen zu kö n nen, was ich tun soll.
Und doch weiß ich, dass er nicht absagen wird. Er wird j e mand anders finden, der sich auf diese Bühne stellt, und es wird eine zweite Michaela geben, und ich werde noch tiefer sinken, als ich es ohnehin schon bin.
Wegen ein paar Worten, die zu sagen ich nicht geschafft h a be. Wahrscheinlich hätte Amber es akzeptiert. Wenn ich nur den Mut aufgebracht hätte, mit ihr zu reden – über mich, nicht immer nur über sie.
Sie warten auf mich. Vier Männer und eine Frau. Green, der nicht Mitglied der Kommission ist, sitzt an der Seite, wohl als Zeuge geladen. Ich bin zwanzig Minuten zu spät. Die Frau rümpft die Nase. Mir ist es gleich. Diese Leute hätten auch zwei Stunden gewartet, denn sie sind auf einer Mission. Nicht jeder akzeptiert den Lifestyle mit solcher Grazie, wie Green es getan hat, und ich bin sicher, dass die Frau auf der anderen Se i te der langen Tafel ihn nicht akzeptiert und mir die Hölle heiß machen wird.
Ich habe gegen das Gebot des Respekts vor meiner Patientin verstoßen und gegen das Prinzip des Nicht-Schadens. So lautet die offizielle Anklage. Wo mein Anwalt sei? Ich brauche ihn hier nicht, lasse ich sie wissen. Sie lassen mich auf meinen F ü ßen stehen, nicht mal ein Stuhl wird mir angeboten. Nicht, dass es mir etwas ausmacht, zu stehen, aber die Demütigung in di e ser Geste ist allzu offensichtlich. Mit Demütigungen kenne ich mich aus.
„Was ich tat, geschah aus dem größten Respekt vor einer Frau, die im Übrigen nicht meine Patientin ist. Ich habe ihr zu keiner Zeit geschadet.“ Die Frau schnaubt, ich ignoriere sie. „Ich habe ihr geholfen, mit ihrer psychischen Einschränkung umzugehen.“
Einer der Männer steht auf, geht um mich herum zu einem Projektor, schaltet ihn ein. Ich presse kurz die Augen zusa m men. Natürlich.
„Damit wir auch alle ein Bild davon haben, wovon wir r e den“, sagt er. Sie haben Amber fotografiert. Ihre nackte Haut, gerötete Striemen. Eine Stelle, wo das Seil tief in ihren Obe r schenkel geschnitten hat. Ein kleines Hämatom auf ihrem N a cken. Es sind nur
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