Amber Rain
zurück. Ich weiß, dass du das schaffst.
Du bist mir ans Herz gegangen, Amber Rain. Mit deiner Lebensfreude und deinem Mut und deiner Stärke hast du dich mir in die Haut g e brannt. Ich bitte dich nicht um Verzeihung, Amber Rain. Ich bitte dich nur um eines. Bitte lass nicht zu, dass ich auch noch die Verantwortung dafür tragen muss, das zerstört zu haben, was mir mein Leben geworden ist. Geh hinaus in die Welt, geh auf die Bühnen des Lebens. Mach dieses schreckliche Improvisationstheater mit und dann geh zu dem nächsten Casting und den nächsten Proben. Sie alle warten auf dich. Die Welt wartet auf dich. Befürchten zu müssen, dass du das aufgibst, dass du dich aufgibst, wegen meiner Fehler, würde mich vernichten.
Du hast mich in der Hand, Amber Rain. Und ich bitte dich, zerstöre mich nicht, gib mir nicht mehr, als ich ertragen kann.
Für immer der Deine
Dr. Richard Crispin Holloway
Mein Gesicht ist tränennass, als Charly aufhört zu lesen und die Karte vor mir auf den Tresen legt. Ich sehe das cremefa r bene Büttenpapier auf dem abgeschabten Fichtenholz und kann doch nichts erkennen. Ich kann auch nichts sagen. Der Kloß in meinem Hals ist zu groß, als dass nur ein einziger Laut sich daran vorbei schieben könnte.
„Eine schreckliche Sauklaue hat er übrigens, dein Doktor.“ Charly ist es, die als erstes ihre Stimme wiedergefunden hat. „Der Brief ist nämlich handgeschrieben, Amber. Kein Comp u terausdruck, nichts Unpersönliches. Blaue Tinte auf diesem sündhaft teuren Papier. Kapierst du, was ich dir sagen will? Amber? Du kannst ihn nicht einfach so hängen lassen.“
„Ich kann nicht.“ Mehr bringe ich nicht heraus. Die Worte schmerzen in der Kehle, dort wo sie sich mühsam an dem Knoten vorbeiquetschen müssen.
„Amber.“ Charly ist bei mir, hält mich, drückt mein Gesicht an ihren Hals. „Vielleicht braucht ihr einfach Zeit? Hm? Denk darüber nach, okay. Das musst du doch sehen. Er hat einen Fehler gemacht. Aber das war doch nur ein Fehler. Ein einz i ger, kleiner, bescheuerter Fehler.“
Etwas ändert sich in mir nach einer Weile. Vielleicht ist es Charlys Umarmung. Oder das beruhigende Blubbern, mit dem das Wasser zu kochen begonnen hat, kurz bevor es klickt und sich der Wasserkocher wieder ausschaltet. Ein wenig Stärke sickert zurück in mich. Ein wenig von dem, was mich so z u versichtlich gemacht hat die letzten Wochen.
„Charly?“, sage ich und schniefe ein wenig, weil meine Nase läuft von den vielen Tränen .
„Ja?“
„Kannst du Celia anrufen? Dass ich aus dem Krankenhaus zurück bin und ab Samstag wieder dabei sein kann bei den Proben?“
„Das mach ich. Gleich nach unserem Tee, okay?“ Noch ei n mal streicht mir Charly über den Kopf, dann geht sie zum Wasserkocher und gießt den Tee auf.
Crispin
Der Vorteil, in London zu leben, ist, dass man immer sofort greifbar ist. Sowohl wenn irgendwo ein Psychiater gebraucht wird, als auch dann, wenn der Psychiater selbst verdammt tief in Schwierigkeiten steckt.
Ich habe bei vollem Bewusstsein über die Folgen die En t scheidung getroffen, Green darüber zu informieren, was g e schehen ist. Ich wusste, dass es unter den gegebenen Umstä n den eine Sache von Stunden sein kann, bis ich vorgeladen we r de. Ich habe mich nicht vorbereitet auf diese Untersuchung. Warum sollte ich? Es gibt nur eine einzige Sache, die ich b e reue: dass ich Amber im Dunkeln gelassen habe darüber, wer ich bin. Und das ist etwas, das ich mir selbst vorwerfen muss, da kann die Ärztekammer strampeln, wie sie will, sie wird es niemals erreichen, mich auf dieselbe Weise dafür zu geißeln, wie ich selbst es tue.
Das Gebäude, in dem die Ärztekammer tagt, ist ein ehemals weiß gestrichenes, aber inzwischen leicht ergrautes vierstöck i ges Haus auf dem Gelände von – ausgerechnet – dem Königl i chen Hospital für Neurologie. Meine alten Jagdgründe. Hier kenne ich mich besser aus als in irgendeiner anderen Klinik der Stadt, aber ich schaue nicht nach links und rechts, als ich den Wagen auf dem inneren Parkplatz abstelle, sondern gehe zie l gerichtet direkt auf das gläserne Portal des grauen Hauses zu.
Das Halsband mit den schweren Ziselierungen und Edelste i nen zieht an meiner Jackentasche. Ich habe es aus einem Reflex heraus gekauft. Aus Melancholie, vielleicht. Als Erinnerung. Ich bringe es nicht über mich, es zuhause liegen zu lassen. Es erinnert mich ein bisschen daran, wie Amber mich gebeten hat, mit dem
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