Amber Rain
noch meine Putzfrau spielen. Und der Strauß? Das ist echt zu viel.“ Ich gehe die wenigen Schritte zu dem Arrang e ment, fahre mit den Fingern eines der Gräser nach, die weit emporragen über das restliche Gebinde. Er ist wirklich zu viel, aber nichts desto trotz ist er wunderschön. Genau das, was ich mir selbst ausgesucht hätte.
„Oh, da musst du dir keine Sorgen machen.“ Sie ist jetzt n e ben mir, greift nach einem Umschlag, der neben dem Strauß auf dem Tisch liegt. „Mit diesen Lorbeeren kann ich mich nicht schmücken. Der ist nicht von mir.“ Ich war so gefangen von dem Gebinde, dass ich die Karte nicht bemerkt habe.
„Cris“, ich korrigiere mich, „Dr. Richard Holloway“, unte r breche ich mich selbst. Sein Name halb Resignation, halb Trauer. Ich drehe mich um und gehe in die Küchenzeile, um Wasser für einen Tee aufzusetzen. „Du kannst die Blumen wegwerfen. Möchtest du lieber Tee oder Kaffee?“
Charly wäre nicht Charly, wenn sie mich so einfach damit d a von kommen lassen würde. Fest umklammert sie den U m schlag, der bei den Blumen gelegen hat, und ist in wenigen Schritten bei mir. Ihre Stimme streng und ein wenig aufg e bracht, als sie mir den Karton mit den Teebeuteln aus der Hand nimmt und mich zu sich dreht.
„Mann, Amber. Gib dem Mann wenigstens eine Chance. Weißt du, wie oft er bei mir angerufen hat? Drei Mal. Jeden Tag“, fügt sie hinzu, als ihre Aussage keine Reaktion bei mir hervorruft. „Er hat mir eine verdammte Liste gemacht, mit Dingen, auf die ich achten soll, wenn du zurück bist, damit dir die Rückkehr aus dem Krankenhaus leichter fällt. Ich soll d a rauf achten, dass du jeden Tag zehn bis zwölf Stunden schläfst. Dass du Rituale hast, Verlässlichkeiten. Dass du dir nicht zu viel zumutest und nicht zu wenig. Er hat mich schwören la s sen, hörst du, schwören lassen, dass ich die Orte, an die du g e hen willst, vorher überprüfe, ob dort Baustellen sind, oder i r gendwelche offenen Feuerstellen. Frag mich nicht, woher das kam. Willst du wissen, was in dieser Karte steht? Nein? Weißt du was, das ist mir scheißegal, du wirst es dir nämlich anh ö ren.“ Ich stelle fest, dass das Papier kampflos nachgibt, als sie den Umschlag öffnet und die Karte daraus entnimmt.
„Ich scheiß nämlich auf das Postgeheimnis, Amber. Und ich war viel zu neugierig, was er dir zu sagen hat, nachdem er jedes meiner Angebote, dass ich versuchen kann zu vermitteln, au s geschlagen hat. Also habe ich die Karte gelesen und jetzt wirst du dir auch anhören, was er schreibt. Denn Richard Crispin Holloway mag ein Idiot sein und ein Feigling, dass er dir nicht sofort gesagt hat, was er beruflich macht, aber er ist, zum Te u fel noch einmal, das Beste, was dir je passiert ist. Und er ve r dient es, dass du dir zumindest anhörst, was er dir zu sagen hat.“
„Charly … bitte.“ Meine Stimme ist zu schwach, um ihren Ausbruch zu dämpfen. Charly hat Recht. Ich will mir nicht a n hören, was Crispin mir geschrieben hat. Zu roh ist das Loch in meiner Brust, zu schmerzhaft sein Verrat. Ich vermisse ihn. Jede Faser in meinem Körper schreit danach, sich in ihm zu verlieren. Es ist, als hätte er mich entzwei gerissen, und die eine Hälfte, die, welche die beste an mir war, hat er mit sich g e nommen. Zurückgeblieben ist eine Hülle aus Sehnsucht und Enttäuschung. Eine Ahnung kratzt an mir, dass auch die zweite Hälfte, die, welche um Fassung ringt und stark sein will und alles allein schaffen möchte, auch zusammenbricht, wenn ich mir anhöre, was in dieser Karte steht. Doch Charly hört nicht auf mich. Natürlich nicht. Sie beginnt zu lesen:
Meine schöne Amber Rain,
Du fühlst dich von mir verraten. Und du hast recht . Alles, was gesch e hen ist, ist meine Schuld. Ich hätte mit dir reden müssen. Aber ich war ein Feigling. Du hast mir vertraut und ich habe dein Vertrauen missbraucht. Tag und Nacht überlege ich mir, wie ich dich um Verzeihung bitten kann und weiß doch, dass ich es nicht tun werde, denn ich verdiene deine Verg e bung nicht.
Amber Rain, denk nicht an mich, schau nach vorn. Du hast so viel e r reicht in den letzten Wochen. Mach das nicht kaputt. Nicht wegen mir. Du brauchst nicht mich, um stark zu sein. Deine Stärke liegt in dir selbst. Ich habe dir alles gegeben, was du brauchst, um weiterzumachen. Alles, was ich getan habe, ist, den Stein anzuschubsen. Ihn ins Rollen gebracht, ihn in Bewegung gehalten, das hast du selbst getan. Du ganz allein. Schau nicht
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